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Bischof aus Damaskus warnt vor Nahem Osten ohne Christen

Armenischer Bischof Nalbandian bei Tagung der "Initiative Christlicher Orient"und PRO ORIENTE in Salzburg: Orient ohne Christen würde zu weiterer Radikalisierung der Arabischen Welt und zu Konflikten mit dem Westen führen

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Vor einem Nahen Osten ohne christliche Bevölkerung hat der armenisch-apostolische Bischof von Damaskus, Armash Nalbandian, gewarnt. Das würde zu einer Radikalisierung der Arabischen Welt führen und könnte weitreichende Konflikte auch mit dem Westen auslösen. Nalbandian äußerte sich in einem Vortrag bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) im Salzburger Bildungshaus St. Virgil, die traditionell in Kooperation mit der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion veranstaltet wird. Im Blick auf seine Heimat Syrien sagte der Bischof, dass die Kirchen wesentlich mehr Freiheiten genießen würden als in anderen muslimischen Ländern. Gleichwohl brauche das Land mehr Demokratie. Enttäuscht zeigte sich der armenisch-apostolische Bischof vom Westen, der das Land seit Ausbruch des Krieges 2011 im Stich gelassen habe. Die ICO-Tagung im Bildungshaus St. Virgil (19./20. September) stand heuer unter dem Titel "Syrien - Wege zum Frieden?!"

Die Christinnen und Christen seien integraler Bestandteil des Nahen Ostens, führte Bischof Nalbandian aus. Der islamistische Fundamentalismus sei aber für die schwindende christliche Minderheit eine immanente Gefahr. Er wolle deshalb auch die schweigende muslimische Mehrheit auffordern, ihre Untätigkeit aufzugeben. Letztlich führe der Fundamentalismus auch zu ihrem eigenen Untergang, zeigte sich Nalbandian überzeugt.

Die Einhaltung der Menschenrechte erachtete der Bischof als zentral für eine gute Zukunft aller Bewohnerinnen und Bewohner des Landes. Um das Bewusstsein dafür zu stärken, "müssen wir noch viel mehr als bisher Brücken zu den Muslimen bauen", so der Selbstanspruch von Bischof Nalbandian. Der interreligiöse Dialog bzw. die Präsenz der Christinnen und Christen vor Ort im Orient seien auch die einzigen Garanten dafür, dass ein weiteres Aufkommen radikaler Islamismen verhindert werden könne.

Nalbandian hob zudem hervor, dass kirchliche Hilfsmaßnahmen in Syrien nicht nur der christlichen, sondern auch der muslimischen Bevölkerung zugutekämen. Er appellierte an den Westen, die Kirchen vor Ort auch weiterhin tatkräftig zu unterstützen, "damit wir diese Hilfe weitergeben können". Westliche Hilfe für die Kirche stärke deren Präsenz in Syrien.

Ein Oberösterreicher in Homs

Von unvorstellbarer Not in der syrischen Stadt Homs berichtete der oberösterreichische Jesuit Gerald Baumgartner bei der Tagung. Baumgartner lebt seit rund zwei Jahren in Homs im Jesuitenkloster und bekommt die Tragik einer vom Krieg zerstörten Stadt und einer katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Situation hautnah mit. Es herrsche Mangel an den fundamentalsten Gütern, so der Jesuit zur aktuellen Lage.

Für subventionierte Grundnahrungsmittel wie Brot müsse man sich lange anstellen. Ein Liter Benzin koste derzeit 7.000 Lira, umgerechnet 1,80 Euro – allerdings bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 70.000 bis höchstens 100.000 Lira. "Und die Preise steigen weiter", so P. Baumgartner. Beim jüngsten Sommerlager für seine Schützlinge sei das Brot ausgegangen. An manchen Orten gebe es auch tagelang kein Wasser mehr. "Strom gibt es vielleicht eine halbe Stunde am Tag. Und manchmal im Winter auch für einige Tage gar nicht" – und das bei Temperaturen von Null Grad über mehrere Wochen im Winter. Katastrophal sei auch die medizinische Versorgung vor Ort. "Wer Krebs hat, stirbt", berichtete Baumgartner. Unzählige Menschen seien auf humanitäre Organisationen angewiesen. Dazu zählt etwa der Flüchtlingsdienst der Jesuiten.

Das Leben vor Ort sei unglaublich hart, so Baumgartner. Im vergangenen Winter schlief er mit vier Decken in seinem eiskalten Zimmer im Kloster, geduscht wurde mit meist eiskaltem Wasser. Die Not sei schlicht erdrückend. Von den jungen Menschen wollten sicher 90 Prozent das Land verlassen. Niemand könne es ihnen verdenken. Viele junge Männer würden zudem wegen des Militärdienstes fliehen, der in Syrien acht Jahre dauert.

Keine Perspektiven für die Jungen

Die kleine Gemeinschaft der Jesuiten im Kloster im Homs besteht aus fünf Ordensmännern: "Fünf Jesuiten aus fünf verschiedenen Nationen. Ein Franzose, ein Pole, ein Ägypter, ein Syrer und ein Österreicher", so Baumgartner. Rund 1.400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen nehmen in der einen oder anderen Form an den Aktivitäten des Klosters teil, für die P. Baumgartner zuständig ist.

Es gibt Gruppenstunden, Workshops, Katechesen, aber auch Sommerlager. "Wir wollen den Jugendlichen, den Studierenden, den Kindern einen Ort schaffen, wo sie durchatmen können, wo Frieden herrscht", so Baumgartner. Die jungen Menschen seien vom Krieg und der Not traumatisiert. Im Kloster würden die jungen Menschen auch erstmals so etwas wie "Rechtsstaatlichkeit" erleben, also Regeln, an die sich alle, auch die Jesuiten, zu halten hätten, so P. Baumgartner. Und: Man versuche, die Jugendlichen zu zivilem Verantwortungsbewusstsein zu erziehen.

"Unsere Gesellschaft ist stumm"

Auch in der nordsyrischen Metropole Aleppo ist die Situation nicht besser als in Homs, berichtete der syrische Franziskaner P. Ibrahim Alsabagh in seinen Ausführungen. 60 Prozent der Stadt seien nach wie vor zerstört. Mehr als 85 Prozent der Bevölkerung lebten unter der Armutsgrenze. "Unsere Gesellschaft ist stumm – vor Hunger und Krankheit", brachte Alsabagh seinen und auch den Befund von P. Baumgartner auf den Punkt. Alsabagh kam auch auf die westlichen Sanktionen zu sprechen, die die arme Bevölkerung noch mehr ins Elend gestürzt hätten.

Der seit 2014 in Aleppo wirkende Alsabagh ist Pfarrer der örtlichen römisch-katholischen (lateinischen) Pfarre St. Francis und Ordensoberer der kleinen Franziskanergemeinschaft in der nordsyrischen Metropole. Aktuell gebe es in der Stadt höchstens eine Stunde am Tag Strom, immer weniger Wasser und nun auch immer weniger Brot. Der Hunger bestimme den Alltag der einfachen Menschen.

P. Alsabagh berichtete von einem einschneidenden Erlebnis. "Als wir Kinder bei uns im Kloster mit Sandwiches verköstigten, haben einige nur die Hälfte gegessen. Die andere Hälfte haben sie für ihre Geschwister mit nach Hause genommen."

Die unvorstellbare Not hat die Franziskaner veranlasst, vor rund einem Jahr eine Suppenküche einzurichten. Inzwischen wurden bereits weit mehr als 200.000 Mahlzeiten an arme Familien, alte und alleinstehende, kranke und behinderte Menschen ausgegeben, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit.

Konfliktmanagement statt große politische Lösungen

Die deutsche Politologin und Journalistin Kristin Helberg eröffnete die Tagung mit einem Überblick über die aktuelle politische Lage in Syrien. Sie zeichnete ein sehr differenziertes Bild der Lage vor Ort und der involvierten politischen und militärischen Kräfte. Eine politische Lösung des Syrien-Konflikts hielt Helberg aktuell für unrealistisch. Sie plädierte vielmehr für eine Art Konfliktmanagement, um auf der praktischen Ebene die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die großen politischen Fragen müsse man ausklammern, so die Politologin.

90 Prozent der Bevölkerung lebten unter der Armutsgrenze, die Hälfte der syrischen Bevölkerung lebe aufgrund des Krieges zudem nicht mehr in ihren eigenen Häusern und Wohnungen. Das Land befinde sich in einer politischen Sackgasse, mit militärischer Unsicherheit und einer ungeheuren humanitären und wirtschaftlichen Krise. Syrien sei geteilt in vier Herrschaftsbereiche: die von der Regierung gehaltenen Teile, die Gebiete der Kurden im Nordosten, die von islamistischen Milizen mit Unterstützung der Türkei gehaltene Region Idlib und die von der Türkei kontrollierten Gebiete im Norden.

Helberg sprach sich für eine "Entpolitisierung der humanitären Hilfe" aus und kritisierte in diesem Zusammenhang die UN-Hilfe für Syrien, die zur Gänze über die syrische Regierung läuft. 43 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern in den vergangenen Jahren seien deshalb großteils verpufft.

Ein großes Problem sei auch die gesellschaftliche Zerrissenheit des Landes, bedingt durch Diktatur und Krieg. Die Syrerinnen und Syrer bräuchten Räume, um sich gegenseitig besser verständigen zu können. Im Land selbst sei das allerdings nicht möglich. Hier sehe sie allerdings bei den vielen in westliche Länder geflüchteten Menschen aus Syrien gewisse Chancen

Ausländischen Akteure im Syrien-Konflikt

Die Wiener Journalistin und Orient-Expertin Gudrun Harrer ging in ihren Ausführungen auf die vielen ausländischen Akteure im Syrien-Konflikt ein. Sie verdeutlichte dies u.a. mit einer Aufstellung der ausländischen Militärbasen im Land. So unterhielt die Türkei 114, Russland 83, der Iran 131, die libanesische Hisbollah 116 und die USA 11 Stützpunkte in Syrien. Die Zahlen zeigten das Ausmaß der Komplexität des Konflikts. Letzterer sei von einer extremen Fraktionierung und unzähligen Problemlagen sowie unterschiedlichen Interessen geprägt.

Zwei Beispiele von vielen, die Harrer anführte: Die Türkei fürchte nichts mehr als ein autonomes und stabiles Kurdengebiet im Nordosten Syriens. Um dies zu verhindern, nähere man sich nun sogar wieder der syrischen Regierung an und hoffe auf die Einwilligung Russlands, entlang der gesamten türkisch-syrischen Grenze eine 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone in Syrien zu etablieren.

Der Iran versuche, über den Irak und Syrien eine strategische Verbindung zum Libanon bzw. zur libanesischen schiitischen Hisbollah herzustellen. Mit der iranischen Präsenz in Syrien fühle sich aber wiederum Israel direkt bedroht, weshalb das Land seit 2013 Luftangriffe auf iranische Ziele in Syrien durchführt. Das sei freilich nur möglich, wenn sich Israel vorher mit Russland abspricht. Das Engagement des Iran in Syrien habe zudem auch viele arabische Staaten veranlasst, ebenfalls im Krieg mitzumischen, um den Iran zu schwächen.

Veränderung ist möglich

Österreichs Botschafter in Syrien, Peter Krois, informierte in einem Hintergrundgespräch über die diplomatischen Bemühungen Österreichs, an einer Verbesserung der derzeit sehr schwierigen Situation im Land mitzuwirken. Er erlebe die Syrer als stolzes Volk, das sein Leben selbst in die Hand nehmen und seinen eigenen Lebensunterhalt verdienen will. Derzeit fehlten einem Großteil der Bevölkerung dazu aber die Mittel, so Krois. Daher brauche es mehr Hilfe zur Selbsthilfe und nicht nur humanitäre Nothilfe, wie sie bisher hauptsächlich in Form von Nahrungsmittelpaketen und medizinischem Bedarf geleistet werde.

Er sei jedoch überzeugt, dass die Situation nicht hoffnungslos sei und dass man nachhaltig etwas zum Besseren verändern könne, wenn man nur wolle, so Krois im Blick auf die internationale Staatengemeinschaft. Er hob in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der UNO bei der Unterstützung der Zivilbevölkerung in Syrien hervor. Die einseitigen restriktiven Maßnahmen gegenüber Syrien müssten laufend überprüft werden, um zu verhindern, dass sie die Falschen treffen. Seitens internationaler humanitärer Organisationen werde zudem beklagt, dass die geltenden humanitären Ausnahmen in der Praxis auch nach mehr als zehn Jahren schwer anwendbar seien und humanitäre Hilfe behindern würden.

Die Syrerinnen und Syrer wünschten sich ein Leben in Würde, dazu zähle auch eine neue Kultur des Respekts und der Mitverantwortung im Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Dies werde zwar Zeit brauchen, erste Schritte sollten aber schon jetzt beginnen. Ein positiver Schritt bei der Aufarbeitung des furchtbaren Krieges in Syrien sei die Generalamnestie von Ende April für bestimmte Vergehen im Rahmen dieses Krieges gewesen, deren Umsetzung jedoch noch verbessert werden sollte.

Österreich sei so weit wie möglich auf vielerlei Weise im Dialog mit Syrien, sowohl mit den Behörden als auch der Zivilgesellschaft. Jede Politik müsse sich letztlich daran messen lassen, ob sie zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Menschen beiträgt, sagte der Botschafter.

Gebet um Frieden

Bei der Tagung wurde neben den Vorträgen und Diskussionen bei einer Vesper und einer Messe für den Frieden in Syrien und auf der ganzen Welt gebetet. Dem Gottesdienst am Dienstag stand der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer vor. Friede bedeute "liebende Solidarität zwischen Menschen und Völkern, die weltweite Garantie von Menschenrechten und Menschenwürde, die gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung – und der Friede ist letztlich die schönste Frucht der Gerechtigkeit", zitierte Hofer den austrobrasilianischen Bischof Erwin Kräutler.

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler stellte seinen Impulsvortrag unter das Motto "In Zeiten des Krieges den Frieden vorbereiten." Bischof Glettler sprach von einem "friedensethischen Dilemma des Verteidigungskrieges". Aber: "Wir dürfen uns nicht an den Krieg gewöhnen", so Glettler. Die Grundsehnsucht nach dem Frieden dürfe nicht verloren gehen.