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Experte: Kirchliche Dialogversuche in der Ukraine bleiben schwierig

Prof. Nemeth analysiert in „Furche“-Beitrag konfessionelle Situation in der Ukraine und lotet mögliche Ansatzpunkte für Annäherungen zwischen den Kirchen aus

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Skeptisch, dass es in naher Zukunft zu einem substanziellen Zusammenrücken der Kirchen in der Ukraine kommen wird, hat sich der Wiener Ostkirchenexperte Prof. Thomas Mark Nemeth gezeigt. In einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Furche“ (Nr. 30/2022) analysiert Nemeth die komplexe kirchliche Situation in der Ukraine, wobei die Karten durch den Krieg zwar teils neu gemischt werden. Aber: „Dialogversuche bleiben schwierig – auch im Krieg“, so das Fazit Nemeths. Er ist Professor für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Priester der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche (UGKK) und Mitglied der Kommission für orthodox-katholischen Dialog sowie Konsultor der Stiftung PRO ORIENTE. Von Prof. Nemeth gibt es auch zum Thema einen neuen „Furche"-Podcast, der unter der Internet-Adresse https://www.furche.at/podcast/... abrufbar ist.

Die Ukraine sei durch konfessionelle Vielfalt geprägt, so Nemeth. Laut einer Umfrage des Kiewer Rasumkow-Zentrums von 2021 bezeichnen sich etwa 68 Prozent der Ukrainer als gläubig. Dabei sei im Westen des Landes die religiöse Praxis stärker als im Osten und Süden. Die besagte Umfrage zeige, dass sich etwa 60 Prozent der Bevölkerung der Orthodoxie zuordnen und etwa neun Prozent der – besonders im Westen des Landes starken – Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche (UGKK).Dagegen liegt die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche bei etwa einem Prozent, die zum sehr vielfältigen Protestantismus bei 1,5 Prozent. Der Anteil von Juden und Muslimen beträgt 0,1 bzw. 0,2 Prozent.

Die Orthodoxie ist – abgesehen von Splittergruppen – in zwei große Jurisdiktionen geteilt. Es gibt die bislang zum Moskauer Patriarchat gehörende Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK), die sich am 27. Mai 2022 auf einer Kirchenversammlung (Sobor) durch eine Statutenänderung für unabhängig erklärt hat. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) ist dagegen 2018 aus einem Vereinigungsprozess von ukrainischen Kirchen entstanden, die bisher gesamtorthodox nicht anerkannt waren. Anfang 2019 wurde diese Kirche vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel als autokephal anerkannt. Dieser Akt hat das Moskauer Patriarchat zur einseitigen Aufkündigung der Kirchengemeinschaft veranlasst. Nemeth: „Dieser Bruch belastet die Orthodoxie weltweit bis heute stark und behindert gemeinsame Problemlösungen.“

Wer gehört zu welcher Orthodoxie?

Schwierig sei im Blick auf die Orthodoxie die Frage der Zuordnung: Im Jahr 2021 bekannten sich laut der erwähnten Umfrage 24 Prozent der Befragten zur OKU, 13 Prozent zur UOK, 22 Prozent bezeichneten sich aber auch nur als „einfach orthodox“. Dem höheren gesellschaftlichen Zuspruch der OKU stehe die institutionelle Stärke der UOK gegenüber (Anfang 2021 gab es ca. 12.000 UOK- und ca. 7.000 OKU-Gemeinden).

Nach dem Angriff Russlands im Februar 2022 hätten sich praktisch alle Religionen und Konfessionen der Ukraine gegen den Krieg und für die Verteidigung des Landes ausgesprochen, ebenso der 1996 gegründete Gesamtukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen, der über 95 Prozent des religiösen Sektors repräsentiere. Mit dem Krieg seien die bestehenden Spannungen in den Hintergrund getreten. Zahlreiche Beispiele belegten, dass sich die Kirchen über Konfessionsgrenzen hinweg um Bedürftige kümmern, wenn auch nicht auf Basis formaler Kooperation.

Allerdings harrten die bisherigen zwischenkirchlichen Probleme auch weiterhin einer Lösung. Seit Ende Februar seien ca. 500 Gemeinden von der UOK zur OKU übergetreten. In einigen Gebieten habe man – allerdings ohne rechtliche Wirksamkeit – versucht, die Tätigkeit der UOK zu verbieten, und es seien Bestrebungen in Gange, dies auf gesamtukrainischer Ebene zu erreichen.

Nemeth: „Die beiden orthodoxen Kirchen unterscheiden sich insofern voneinander, als die OKU eindeutig ukrainisch-patriotisch positioniert ist, während die UOK unterschiedliche Flügel – zwischen pro-russisch und pro-ukrainisch – aufweist.“ Ihr Oberhaupt, Metropolit Onufrij (Beresowskyj), zähle zur theologisch sehr konservativen und ökumeneskeptischen Richtung. „Ob die von ihm vollzogene Loslösung von Moskau primär an eigener Überzeugung, innerkirchlichem oder gesellschaftlichem Druck lag, lässt sich nicht genau sagen, doch hat die in eine kirchenrechtliche Grauzone führende ‚de facto-Autokephalie‘ den Handlungsspielraum deutlich erweitert“, so Nemeth.

Zwar sei damit noch keine Annäherung an die konkurrierende OKU verbunden und der Weg zurück zum Moskauer Patriarchat auch nicht ausgeschlossen. Doch zeige ein Treffen von Priestern beider Kirchen, das am 5. Juli unter Mitwirkung der staatlichen Kultusbehörde in der Kiewer Sophienkathedrale stattfand, dass – im Unterschied zur zurückhaltenden Position der Bischöfe – zumindest in Teilen des Klerus (und des Kirchenvolkes) der Wunsch bestehe, die Einheit wiederherzustellen. Da aber, so Nemeth, seitens der UOK (und des Moskauer Patriarchats) die Gültigkeit der Sakramente und der apostolischen Sukzession in der OKU bestritten wird, berühre der Streit weit mehr als die rein kirchenrechtliche Ebene.

Nemeth weiter: „Neben dem jahrzehntelangen Misstrauen auf beiden Seiten und dem gesamtorthodoxen Dissens steht einer Lösung auch im Wege, dass sich der Episkopat beider Seiten recht selbstgenügsam als der rechtmäßige Repräsentant der ukrainischen Orthodoxie erachtet, seinen Status nicht gefährden will und zu einem ergebnisoffenen Dialog nicht bereit ist.“ Eine Einverleibung einer Kirche in die andere sei also unwahrscheinlich, gewisse Chancen bestünden aber für eine Erneuerung der Eucharistiegemeinschaft unter Beibehaltung der bisherigen Parallelstrukturen.

Eine Lösung sei zwar während der andauernden Kriegssituation nicht zu erwarten, doch werde sich die Religionslandschaft langfristig gewiss verändern, zeigt sich der Wiener Ostkirchenexperte überzeugt. Denn: In der UOK habe die Zustimmung zum auch in den Anschauungen Patriarch Kyrills zum Ausdruck kommenden Konzept einer

„Russischen Welt“ einen deutlichen Einbruch erfahren.

Position der Ukrainisch-katholischen Kirche

Nemeth nimmt auch die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche (UGKK) in den Blick. Diese sei zwar zahlenmäßig schwächer als die beiden orthodoxen Kirchen, habe aber mit einer ökumenischen Konzeption (2015 bzw. 2021) ein wichtiges Grundlagendokument erarbeitet. Auch besitze die UGKK neben einem höheren Standard der Klerusausbildung mit Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk ein gesellschaftlichen Diskursen gewachsenes Kirchenoberhaupt, so Nemeth. Die anfänglichen Hoffnungen auf eine gute Kooperationsbasis zwischen der OKU und der UGKK hätten sich aber – trotz ähnlicher politischer Tendenzen – als nicht allzu tragfähig erwiesen, resümiert Nemeth.

Fazit: „Auch wenn die Kirchen über den erwähnten Rat der Religionsgemeinschaften gemeinsame Stellungnahmen verabschieden und etwa in Gender-Debatten auf derselben Wellenlänge liegen, hängt die Fähigkeit zum ökumenischen Miteinander sehr stark von den einzelnen Beteiligten ab.“

Nicht zu unterschätzen sei auch, dass gerade protestantische Kirchen durch ihre aktive Sozialarbeit zu praktischer Ökumene beitragen. Nemeth: „Der Krieg und seine Folgen konfrontieren viele Menschen in der Ukraine mit existenziellen Fragen. Der Umgang mit ihnen wird auch in der Zukunft eine wichtige Herausforderung für alle Kirchen und Religionen bleiben.“