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Internet: Influencerin sieht großen Durst nach christlicher Mystik

Wiener russisch-orthodoxe Theologin Sr. Vassa Larin in PRO ORIENTE-Magazin: Mit liturgischen Traditionen gegen das Informationschaos im Internet - Neues PRO ORIENTE-Magazin zum Thema "Mystik und Politik in der Orthodoxie"

POI 240521

Wien, 21.05.24 (poi) Es gibt einen großen Durst nach christlicher "Mystik" im Internetzeitalter. Das betont die russisch-orthodoxe Theologin und Influencerin Sr. Vassa Larin in ihrem Beitrag in der aktuellen Ausgabe des PRO ORIENTE-Magazins. Sie betreibt den Medienkanal "Coffee with Sr. Vassa" mit Videos, Blogs und Podcasts. In der virtuellen Realität des 24/7-Internetzeitalters herrsche eine Art "Informationschaos", in dem sich der Verstand angesichts der Vielzahl von Bedeutungen und Zielen, die ständig über den Bildschirm des Telefons oder Computers fließen, leicht zerstreuen könne. Die Inhalte seien aber oft eher furchteinflößend als glaubensfördernd, "weil die programmierten Algorithmen dazu neigen, die Furcht einflößenden Informationen zu bevorzugen".

Das Internetzeitalter habe die "Mystik" der Kirche deshalb vor neue Herausforderungen und Segnungen gestellt, insbesondere in zwei Bereichen: Erstens in der Art und Weise, wie überlieferte "Symbole" und ihre Bedeutung weitergegeben wird, d.h. wie die "Information" über den Glauben oder das Glaubenszeugnis weitergegeben und empfangen wird; und zweitens in der Art und Weise, wie sich auf dieser Grundlage eine Gemeinschaft bildet.

Die größten Herausforderungen für das Leben der christlichen Tradition im Internetzeitalter ergeben sich für Sr. Vassa aus der "Tatsache, dass es in der virtuellen Realität keine Hierarchie der Bedeutungen gibt. Es gibt keine Ordnung für die Informationen, die man erhält oder weitergibt." Die Informationen seien auch, sobald im Internet verfügbar, nicht mehr an eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Raum gebunden. Dies sei für viele Menschen, auch viele gläubige Christinnen und Christen, desorientierend.

Dem hält die Theologin die alten christlichen Traditionen entgegen, insbesondere die liturgischen Traditionen des Kirchenkalenders und des Stundengebets, die ihrer Überzeugung nach "ein Gegenmittel gegen die ungeordnete Internet-Zeit darstellen". Und darüber vermittle sie ihren Abonnentinnen und Abonnenten online Wissen, so Sr. Vassa: "Diese Traditionen verbinden mit jeder Stunde, jedem Tag, jeder Woche und jeder Jahreszeit bestimmte, den Glauben anregende Gedenkfeiern und Bedeutungen und stellen für diese Zeiten besondere Gebete, Psalmen und liturgische Feiern bereit. Wenn wir diese Stunden, Tage, Wochen und Jahreszeiten zusammen mit ihrem Glaubenszweck beachten oder "hüten", können wir in jedem Augenblick präsent sein. Es hilft uns, nicht ahnungslos durch die Zeit zu gehen."

Christliche Mystik macht frei

Das aktuelle PRO ORIENTE-Magazin steht unter dem Thema "Mystik und Politik in der Orthodoxie". Neben Sr. Vassa haben dazu der Abt des Klosters Visoki Decani im Kososvo, Sava Janjic, und der rumänisch-orthodoxe Wiener Theologe Prof. Ioan Moga ausführliche Beiträge verfasst.

Moga hält eingangs fest, dass die orthodoxe Spiritualität Mystik nicht als eine "Spitzenleistung" des religiösen Lebens sehe, sondern als Grundkomponente des Aufstiegsweges des Menschen zu Gott. Aus dieser Sicht sei christliche Mystik der Erfahrungsaspekt eines ganzheitlichen Lebens in Christus, und Kirche an sich sollte ohne diese mystische Dimension nicht vorstellbar sein, so Moga: "Wenn man speziell von christlichen Mystikerinnen und Mystikern spricht (etwa spiritualitätsgeschichtlich im Westen), ist das schon eine Einengung und im orthodoxen Bereich nicht üblich. Das Christentum als solches ist mystisch, ohne dadurch seine soziale Dimension zu verlieren."

Anhand des Lebensbeispiels des rumänisch-orthodoxen Mönchs Daniil Sandu Tudor (1896–1962) verdeutlicht Moga, inwiefern mystische Menschen gerade von totalitären Regimes als Gefahr wahrgenommen werden können. Vater Daniil führte ein abgeschiedenes Mönchsleben, wurde aber trotzdem oder gerade deswegen von der rumänischen Securitate 1958 verhaftet. Der Vorwurf lautete auf "subversive Tätigkeit" und "konterrevolutionäre Tätigkeit in den Klöstern". Er wurde neben vielen anderen zu 25 Jahren Haft verurteilt und starb 1962 an den Folgen einer brutalen Prügelstrafe.

Moga: "Warum verfolgt eine inzwischen gut aufgestellte totalitäre Macht Menschen, die sich ausschließlich einem spirituellen Gebetsleben widmen, zumal sie keine politische Agenda haben und auch nicht religiöse Massen an sich ziehen?" Die Antwort des Theologen: "Weil radikale Christusnachfolge frei macht und dies in der Tat für einen totalitären Staat 'subversiv' ist. Christliche Mystik ist subversiv, weil sie frei macht – und weil eine solche spirituelle Freiheit durchaus ansteckend sein kann."

Beitrag der Mönche zum Frieden

In einem weiteren Beitrag kommt der Abt des serbisch-orthodoxen Klosters Visoki Decani im Kosovo zu Wort, Sava Janjic. Er hat sich u.a. als "Cyber-Mönch " einen Namen gemacht. Seit mehr als 25 Jahren setzt er sich aktiv in seinem Kloster und virtuell über seine Internet-Kanäle für ein Ende der Gewalt im Kosovo und eine serbisch-albanische Aussöhnung ein.

Janjic schreibt über den Beitrag der Mönche zum Frieden, der "weit über die bloße Konfliktlösung hinausgeht". So hält er über die Mönche fest: "Ihr Leben, das dem Willen Gottes verpflichtet ist, befasst sich mit gesellschaftlichen Spaltungen und Ungleichheiten durch betendes Zeugnis und Selbstaufopferung und nicht durch revolutionäre Kritik oder durch die Förderung sozialer Ideologien, die auf menschlicher Gerechtigkeit basieren. Ihr einfacher Lebensstil ohne Bindung an vergängliche Werte fordert den zeitgenössischen Konsumismus und Materialismus heraus, und ihre unerschütterliche Gewaltlosigkeit wirkt der Anwendung von Gewalt entgegen."