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PRO ORIENTE-Blog: Neue Beiträge zeigen Ringen um Konfliktlösungen in Ukraine

16. September 2025

Zwei Beiträge von Teilnehmenden des PRO ORIENTE-Workshops in Vilnius online - Workshop war Teil des Projekts "Healing of Wounded Memories"

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PRO ORIENTE hat im März 2025 bei einem Workshop in der litauischen Hauptstadt Vilnius Theologinnen und Theologen aus ganz Osteuropa an einen Tisch gebracht. Der Workshop war Teil des Projekts "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen). Der Ukraine-Krieg war dabei ein wesentliches Thema der Gespräche, Vorträge und Diskussionen. Im PRO ORIENTE-Blog veröffentlichen nun Teilnehmende des Workshops ihre Erfahrungen oder Erkenntnisse aus der Tagung in Vilnius. Den Auftakt machen der Theologe und ukrainisch-katholische Priester Roman Fihas sowie die Ko-Koordinatorin der ukrainischen Nichtregierungsorganisation "Dialogue in Action", Anna Dovbyk.

Fihas ist Direktor des Instituts für Ökumenische Studien der Ukrainischen Katholischen Universität Lviv. Wie er schreibt, zeigten die Erfahrungen in der Ukraine, dass Religion sowohl konflikt- als auch friedensfördernd sein kann. Nur Letzteres spiegle freilich den wahren Geist des Evangeliums wider. Die Manipulation der Religion durch den russischen Staat und die Russische Orthodoxe Kirche müsse sowohl als theologische Häresie als auch als geopolitische Waffe gebrandmarkt werden. Auch internationale religiöse Institutionen müssten die Russisch-orthodoxe Kirche für ihre Mitschuld an Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen und ihren Ausschluss aus ökumenischen Gremien in Betracht ziehen, wenn sie weiterhin Gewalt gutheißt, fordert Fihas.

Der christliche Glaube dürfe niemals als Schutzschild für Autoritarismus oder als Schwert gegen Unschuldige dienen. In der Religion müsse es vielmehr darum gehen, "Wunden zu heilen, Frieden zu stiften und die Heiligkeit des Lebens zu wahren". 

Religiöse Verfolgung sei in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine weit verbreitet. Nicht mit Moskau verbündete Kirchen wie die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche und verschiedene protestantische Gemeinschaften seien systematischen Verboten ausgesetzt, berichtet Fihas: "Kirchen wurden von russischen Streitkräften beschlagnahmt, zerstört oder umfunktioniert. Geistliche wurden verhaftet, gefoltert oder getötet."

In diesem Zusammenhang diene religiöse Unterdrückung sowohl als strategischer als auch als symbolischer Akt zur Auslöschung der ukrainischen Identität. Verbrannte Kirchen und geschändete religiöse Stätten seien zu "düsteren Symbolen dieser spirituellen und kulturellen Auslöschung" geworden.

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sei die theologische Dekonstruktion schädlicher Ideologien dringend erforderlich, so Fihas. Die weltweite christliche Gemeinschaft müsse sich zusammenschließen, um militarisierte Theologien abzulehnen und die Sakralisierung des Krieges anzuprangern. Ökumenische Institutionen spielten eine entscheidende Rolle dabei, "die ideologische Perversion des Glaubens aufzudecken und authentische theologische Narrative zu fördern, die auf Frieden, Gerechtigkeit und Würde gründen", so der ukrainisch-katholische Geistliche. 

Von Mensch zu Mensch

Die Dialog-Moderatorin Anna Dovbyk hob in einem weiteren Blogbeitrag eine der großen Stärken der PRO ORIENTE-Workshops hervor: das "Erzählen von Geschichten" (Storytelling). Dies sei ein wirkungsvolles Instrument, "um Menschen durch unsere gemeinsame Menschlichkeit miteinander zu verbinden". Sie sei auch persönlich auf unterschiedliche Weise von den Konflikten in der Ukraine betroffen und sei sich dessen bewusst, dass echte Unparteilichkeit schwer - wenn nicht sogar unmöglich - zu erreichen sei. Ihre eigenen Erfahrungen und Emotionen würden unweigerlich ihre Art des Zuhörens und Reagierens beeinflussen, räumte Dovbyk ein. Damit gelte es, ehrlich umzugehen.

Dovbyk berichtet über die Begegnung mit einer anderen Teilnehmerin des Workshops: "Yulias Geschichte zu hören, war wichtig. Sie hat mich bewegt. Ihre Erfahrungen haben in mir ein tiefes Gefühl der Empathie hervorgerufen; nicht unbedingt, weil ich ihre Ansichten oder Positionen teile, sondern weil ich die Bedeutung ihrer Erfahrungen, ihrer Emotionen und ihres Kampfes erkannt habe." Sie teile Yulias Sichtweise auf die innerorthodoxen Konflikte in der Ukraine nicht, so Dovbyk, doch sie habe sich mit ihr auf einer menschlichen Ebene verbunden gefühlt.

Der Workshop habe einen Raum geschaffen, in dem der Austausch solcher persönlichen Geschichten möglich wurde. Es brauche aber viele weitere solcher Räume, "in denen Geschichten erzählt, Fragen gestellt und gegensätzliche Perspektiven vertreten werden können, und in denen Menschen sich wahrgenommen, aber nicht beurteilt fühlen", so Dovbyk. Dies werde zwar nicht gleich die Konflikte lösen,"aber es verändert die Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen". Nachsatz: "Vielleicht beginnt hier die Heilung."

Das Projekt "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerungen heilen) hat im November 2023 mit einer internationalen Konferenz in Wien seinen Anfang genommen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen. Die Themen der Auftaktkonferenz wurden in regionalen Workshops in Bosnien-Herzegowina (Mai 2024), Zypern (Oktober 2024) und Vilnius (März 2025) vertieft. 

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