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Prof. Larentzakis würdigt ökumenisches Lebenswerk von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.

Stellvertretender Vorsitzender der Grazer PRO ORIENTE-Sektion: Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. hat in der Ökumene einige Meilensteine gesetzt, "obwohl er selbst nicht alles, was er für möglich gehalten hat, verwirklichen konnte" - Allerdings für die Ökumene auch "schmerzhafte" Aussagen Ratzingers

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Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. hat in der Ökumene einige Meilensteine gesetzt, "obwohl er selbst nicht alles, was er für möglich gehalten hat, verwirklichen konnte". Das betont der Grazer orthodoxe Theologe Prof. Grigorios Larentzakis in einer ausführlichen Stellungnahme aus Anlass des Todes des emeritierten Papstes. Joseph Ratzinger habe als Theologe jedenfalls maßgeblich dazu beigetragen, "dass im Westen der Blickwinkel Richtung Osten geöffnet wurde".

Joseph Ratzinger habe etwa die Bedeutung der Kollegialität und der Synodalität des ersten Jahrtausends in der Gesamtkirche gesehen, so Larentzakis. Er verweist u.a. auf Ratzingers viel zitierten Vortrag in Graz am 26. Jänner 1976, als dieser wörtlich sagte, "Rom muss vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern, als auch im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde."

Der spätere Präfekt der Glaubenskongregation und Papst habe damit eine sehr schwerwiegende Feststellung gemacht, die einen Hinweis geben könne, "wie man an das Problem herangehen könnte, indem wir die Geschichte und die Bedeutung des gemeinsamen ersten Jahrtausends der Kirche auch in diesem Punkt sehr ernst nehmen müssen".

Über die Veränderbarkeit der Papstlehre habe Ratzinger gesagt, "dass jemand, der auf dem Boden der Katholischen Kirche steht (...) andererseits unmöglich die Primatsgestalt des 19. und 20. Jahrhunderts als die einzig mögliche und für alle Christen notwendige ansehen kann."

Prof. Joseph Ratzinger sei ein klassischer Theologe gewesen, "der treu seiner Kirche und seiner Tradition keine Angst hatte, auch die theologischen und kirchlichen Quellen der Gesamtkirche zu studieren". Er habe auch die ostkirchliche Patristik gekannt, ihren Einfluss auf die heutige orthodoxe Theologie richtig eingeschätzt und zugleich versucht, seine westliche Theologie damit anzureichern, so Larentzakis. Nachsatz: "Das ist auch ökumenisch relevant."

Aufgrund seiner reichhaltigen Kenntnisse ostkirchlich-orthodoxer Theologie habe Ratzinger festgestellt, dass im Westen der Blick Richtung ostkirchliche Theologie und Kirche unterentwickelt war. Konsequenterweise habe er auch festgestellt, dass im Westen Ökumene hauptsächlich katholisch-protestantisch gesehen wurde. Diese Beziehung sei allerdings historisch schwer belastet gewesen und der Dialog deshalb nicht sehr weit voran gekommen. Vom Eintritt der Orthodoxie in die Ökumene habe sich Ratzinger hingegen neue Blickwinkel und Möglichkeiten erwartet. Larentzakis: "Prof. Ratzinger erkannte durch die intensive Beschäftigung mit der ostkirchlichen Theologie, dass viele ökumenisch relevante Fragestellungen im Westen einseitig gestellt und daher auch manchmal verkürzte Antworten gegeben wurden." Ratzinger habe jedenfalls maßgeblich dazu beigetragen, "dass im Westen der Blickwinkel Richtung Osten geöffnet wurde".

Herzliche persönliche Begegnungen

Larentzakis berichtet in seiner Stellungnahme auch von persönlichen Begegnungen mit Papst Benedikt XVI., u.a. 2006 im Dom von Regensburg unmittelbar nach dem Ende der ökumenischen Vesper mit dem Papst: "Ich stand mit Prof. Evangelos Theodorou aus Athen Spalier, genauso, wie alle anderen, als der Papst in liturgischer Prozession hinausging. Als er an uns vorbeiging und uns sah, hat er die Prozession kurz verlassen und ist direkt zu uns gekommen, blieb stehen, gab uns die Hand und fragte, wie es uns geht und ging wieder zurück Richtung Sakristei. Das waren tatsächlich Momente der Herzlichkeit und der Offenheit, nicht nur formelle Höflichkeitsgeste! Und genau das haben wir auch gespürt."

Larentzakis erinnert auch an den Besuch des Papstes 2006 in Konstantinopel bei Patriarch Bartholomaios: "Bei diesem Besuch in Konstantinopel bei seinem Amtsbruder waren nicht nur seine Äußerungen wichtig, sondern auch seine ganze Haltung und seine Geste und seine aktive Teilnahme an der Liturgie. Es war keine volle Communio, keine Konzelebration, aber all das waren sprechende Zeugnisse seiner inneren Haltung und bewussten Zuneigung zur Orthodoxie als Zuneigung zu einer Schwesterkirche. Ich habe die Freude und die Ehre gehabt, als geladener Gast in persönlicher Vorstellung durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios und in der Begegnung mit dem Papst selbst diese geschwisterliche, fröhliche Atmosphäre zu erleben."

Larentzakis verweist auf die Gemeinsame Erklärung von Papst Benedikt XVI. und Patriarch Bartholomaios vom 30. November 2006, in der einerseits die bisher erreichte Gemeinschaft deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, andererseits das Ziel der vollen Communio noch einmal bekräftigt wurde.

Zudem habe Benedikt XVI. in seiner Rede in Konstantinopel von der positiven Änderung der Beziehungen der zwei Schwesterkirchen gesprochen. Er habe auch seinen Willen wiederholt, alles daran zu setzen, damit die volle kirchliche Gemeinschaft gefördert wird. Er habe versichert, dass die katholische Kirche bereit sei, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Hindernisse zu überwinden.

Allerdings, so Prof. Larentzakis: "Einerseits betonte der Papst, dass die Katholische Kirche bereit sei, die Hindernisse zu überwinden! Andererseits machte der Papst mit einem Nebensatz eine Einschränkung: 'Alles in ihrer Macht Stehende.' - Warum dieser Zwischensatz? Bedeutet das: Ich will, ich bin bereit, alles zu tun, damit die Hindernisse überwunden werden, jedoch nur alles in meiner Macht Stehende? Wer relativierte also seinen festen Willen dazu? Die Nicht-Realisierung dieses Versprechens verleitet mich zu dieser schmerzlichen Frage: Wer oder was haben die erhoffte Verwirklichung verhindert?" Und Prof. Larentzakis verweist in seiner ausführlichen Stellungnahme auch auf einige weitere schmerzhafte Aussagen des damaligen Kardinals Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation.

Ratzingers "Erbgut"

Der orthodoxe Theologe erinnert auch daran, dass er selbst nach der Wahl Ratzingers zum Papst die Hoffnung hegte, dass er das, was er als Professor und Kardinal theologisch erarbeitet hatte, als Papst Benedikt XVI. umsetzen werde. "Es wäre ein Meilenstein in der Geschichte der Gesamtkirche Christi. Leider konnte er es nicht realisieren. Und das ist schmerzlich und bedauerlich", so Larentzakis.

Und der orthodoxe Theologe fährt fort: "Nichtsdestotrotz! Das, was Prof. Joseph Ratzinger und Papst Benedikt XVI. gesagt, geschrieben und getan hat in Richtung Wiederherstellung der kirchlichen Einheit und insbesondere der Realisierung der vollen kirchlichen und sakramentalen Communio zwischen der Römisch-Katholischen und der Orthodoxen Schwesterkirche, ist äußerst wertvoll und kann seine Bedeutung und seine Aktualität nie verlieren, auch wenn man fast einen inneren Kampf feststellen muss."

Es bleibe die Hoffnung, so Larentzakis, dass das Erbgut von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. auf seine Nachfolger und konkreter für seinen jetzigen Nachfolger Papst Franziskus seine Wirkung nicht verfehlen wird: "Der neue Geist und die Dynamik des neuen Papstes Franziskus dem 'amtlichen Ganzen' gegenüber und seine äußerst wichtigen Initiativen für die Stärkung der Synodalität und Strukturänderung des Papsttums innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche, wie auch die äußerst positiven Zeichen in der Begegnung mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios lassen uns und mich persönlich auf konkrete maßgebliche und mutige Schritte hoffen."