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Synodaler Prozess im Nahen Osten: Junge Christinnen und Christen wollen Kirche und Gesellschaft mitgestalten

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Junge Christinnen und Christen im Nahen Osten, die verschiedenen Konfessionen angehören, wollen gemeinsam Kirche und Gesellschaft mitgestalten. Das war der einhellige Tenor eines ersten dreitägigen ökumenischen Jugendworkshops zum Thema Synodalität, den die Stiftung PRO ORIENTE dieser Tage im Libanon gemeinsam mit der "We choose abundant life"-Gruppe veranstaltet hat. 25 Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Libanon und aus Syrien nahmen daran teil. Mit dabei war für PRO ORIENTE die Projektverantwortliche Viola Raheb. Der Workshop war der erste einer Reihe von mehreren Workshops in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens.

Drei Tage lang beschäftigten sich die jungen Menschen mit dem synodalen Prozess, zu dem Papst Franziskus eingeladen hat, sowie mit dem Dokument "We choose abundant life" (Wir wählen ein Leben in Fülle) - besonders mit jenen Teilen, in denen der Beitrag junger Menschen für ein stärkeres kirchliches und zivilgesellschaftliches Engagement behandelt wird. Das Dokument wurde im vergangenen Herbst von einem Team von Theologinnen und Theologen und weiteren Fachleuten erarbeitet und ist unter https://wechooseabundantlife.com abrufbar.

"Die Herausforderungen des Lebens, politisch, ökonomisch und sozial, sind in den Ländern des Nahen Ostens gerade für junge Menschen sehr herausfordernd geworden", erläutert Viola Raheb den Hintergrund der Initiative: "Viele verlassen ihre Länder und suchen nach Zukunft woanders, andere wenden sich von den Kirchen und dem kirchlichen Leben ab."

Für die Teilnehmenden am Workshop in Beirut, die sowohl in ihrem Glauben als auch in ihren Kirchen sehr stark verwurzelt sind, sei allein schon die Tatsache bewegend gewesen, "dass in dieser Initiative ihnen zugehört wird und ihre Ideen für die Zukunft der Kirche und Gesellschaft ins Zentrum gerückt werden", so Raheb: "Für sie ist der synodale Prozess ein Wagnis mit dem Heiligen Geist, um sich dem Neuen zu öffnen, und so auch Kirche und Gesellschaft zu verändern."

Die jungen Menschen hoffen auf eine synodale Kirche, "die ihnen den Rücken stärkt, sie umarmt, ihnen zuhört, sie ernst nimmt und unterstützt". Die Jugendlichen bekräftigten: "Wir haben den Willen, die Gaben und die Ausdauer, die Zukunft unserer Kirchen und Gesellschaften aktiv mitzugestalten."

Zu den Anliegen, die die jungen Leute am Ende des Workshops formulierten, gehört der Wunsch nach gelebter Synodalität innerhalb der eigenen Gemeinden und Kirchen, und gleichzeitig auch gemeinsam mit den Geschwistern aus den anderen kirchlichen Traditionen. Auch brauche es mehr Kooperation zwischen Laien und Klerus und einen Paradigmenwechsel jenseits von "wir" und "sie". Die jungen Leute wünschten sich Offenheit und Begegnung auf Augenhöhe mit anderen Konfessionen sowie mehr Wertschätzung und das Einbeziehen von Jugend und Frauen in den Kirchen und in den synodalen Weg. Zudem sollte es mehr Besuche untereinander geben. Initiativen, die kirchliche und gesellschaftliche Brücken schlagen, müssten gestärkt und gefördert werden.

Die 25 junge Menschen aus dem Libanon und Syrien, Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 28 Jahren, gehören unterschiedlichen christlichen Kirchen an: der Orthodoxen Kirche von Antiochen, der Armenisch-apostolischen Kirche, der Syrisch-orthodoxen Kirche, der Melkitisch-katholischen, Syrisch-katholischen Kirche und Maronitischen Kirche sowie der Evangelischen Kirche. Alle werden als wichtige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren angesehen und engagieren sich in ihren eigenen Kirchen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit.

"Die Arbeit muss weitergeführt werden"

Viola Raheb: "Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Hoffnung ausgedrückt, dass es nicht bei einem einmaligen Treffen bleibe. Die Arbeit muss weitergeführt werden, muss begleitet und erweitert werden." Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Syrien wünschen sich zudem einen eigenen Workshop innerhalb Syriens, wo derartige ökumenische Begegnungen unter jungen Menschen bislang noch kaum stattfinden.

In ihrem im September 2021 in Beirut herausgegebenen Dokument unterstreicht die "We choose abundant life"-Gruppe die entscheidende Rolle junger Menschen im synodalen Prozess. So heißt es in dem Dokument wörtlich:

"Die Stellung der Jugend in unseren Kirchen wirft die Frage der Synodalität in akuter Form auf und fordert uns heraus, den Geist des Miteinanders wertzuschätzen. Junge Menschen in unseren Kirchen wollen ihren Glauben im Einklang mit der Überzeugung moderner und postmoderner Gesellschaften leben, dass Werte wie Gleichberechtigung, Teilhabe und Solidarität hochgehalten werden müssen. Sie finden oft eine Kluft zwischen diesen Werten und einer Kultur des Ausschlusses, des fehlenden Zuhörens und der fehlenden Beratung im Alltag der Kirche. Daher die Notwendigkeit, die Jugend aktiv in alle Ebenen der Kirchenleitung einzubeziehen, im Einklang mit den ihnen vom Heiligen Geist verliehenen Talenten."

Die Notwendigkeit, der Jugend zuzuhören und sie in den synodalen Prozess einzubeziehen, hat auch Papst Franziskus in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben "Christus vivit!" bekräftigt, in dem er die Jugend aktiv anspricht und sie aufruft, sich zu äußern: "Liebe Jugendliche [...], die Kirche braucht Ihren Schwung, Ihre Intuition, Ihren Glauben. Wir brauchen Sie! Und wenn Sie dort ankommen, wo wir noch nicht angekommen sind, haben Sie die Geduld, auf uns zu warten."

Insgesamt wollen PRO ORIENTE und die "We choose abundant life"-Gruppe bis zu 100 junge Menschen als direkte Teilnehmende an ihrem ökumenischen Jugendprojekt zusammenbringen. Drei weitere Workshops sollen folgen; und zwar in Jordanien, Ägypten und Palästina/Israel.

Zudem sollen einige der Jugendlichen, die an den Workshops teilgenommen haben, an zwei internationalen Konferenzen über Synodalität im November in Rom teilnehmen, um die Erfahrungen und Wünsche der Jugend in die Diskussion miteinzubringen.

Im Jahr 2023 ist ein regionaler Trainingsworkshop in Wien geplant, wo eine Vernetzung und ein Erfahrungsaustausch zwischen den Jugendlichen aus den verschiedenen Ländern des Nahen Ostens erfolgen soll.

Eine kurze Video-Dokumentation mit Stimmen der Jugendlichen ist auf dem YouTube-Kanal von PRO ORIENTE abrufbar unter:

https://www.youtube.com/watch?v=FlezTmsoFDU