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Syrien: Wie Erzbischof Mourad die IS-Gefangenschaft überlebte

Jacques Mourad im Radio Vatikan-Interview über seine Zeit in den Händen des IS im Jahr 2015 - Gebet gab Kraft und Hoffnung

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Damaskus/Rom, 16.08.23 (poi) Der syrisch-katholische Erzbischof von Homs, Jacques Mourad, hat in einem aktuellen Radio Vatikan-Interview auf seine Zeit als Geisel des IS zurückgeblickt. Mourad war 2015 auch international bekannt geworden, als ihn Terroristen des "Islamischen Staates" aus seinem Kloster Mar Elian in Syrien entführten und ihn mehrere Monate als Geisel festhielten. Für seine Freilassung setzte sich damals auch Papst Franziskus ein. Er habe jeden Tag für seine Entführer gebetet, erinnerte sich Mourad im Interview. "Bekehre dich zum Islam, oder wir schlagen dir den Kopf ab", sagten die Entführer. Diese Drohung habe ihn auf radikale Weise zurück zu seinem Weiheversprechen geführt, so der Geistliche. "Ich stand genau vor dieser Entscheidung: Entweder ich trage weiterhin das Kreuz bis zum Tod mit Christus für die Liebe zur Kirche und für das Heil der Welt – oder ich verzichte und gebe auch meine Berufung auf."

Pater Mourad entschied sich für das Kreuz. "Aber nicht nur, um das Kreuz zu tragen, sondern auch, um an meine Entführer zu denken", so der Erzbischof. "Das Geschenk, das ich während dieser Erfahrung erhalten habe, ist, diese Menschen, diese Dschihadisten, in einem Geist des Gebets zu betrachten und Gott zu bitten, ihre Herzen zu erleuchten und sie zu bekehren. Nicht für mich, sondern für ihre Erlösung und für den Frieden in unserer Welt."

Mourad erinnerte sich aber auch daran, was diese Entscheidung in ihm selbst auslöste: Das erneuerte Vertrauen zu Gott "hat mich von allen Ängsten befreit. Wenn man dem Tod gegenübersteht, gibt es ein gewisses Gefühl der Angst, das die Seele durchdringt. Jedes Mal, wenn ich diese Angst hatte, betete ich den Rosenkranz, die Angst verschwand und verwandelte sich in Mut. "

IS-Führer bei Mourad

Heute betrachte er diese Erfahrung als eine Gnade, so der Erzbischof weiter, "eine Gnade, die am achten Tag, kurz vor Sonnenuntergang, begann". Am Ende seiner ersten Woche als Geisel besuchte ihn der damalige Machthaber von Raqqa. Er habe nicht gewusst, erzählt Mourad, dass er den Anführer des so genannten "Islamischen Staates" in Syrien vor sich hatte. "Als ich ihn fragte: ‚Warum sind wir Gefangene? Was haben wir falsch gemacht, dass wir Gefangene sind?‘, antwortete der Islamistenführer: ‚Betrachten Sie diese Zeit als eine Zeit des Rückzugs.‘"

"Seine Antwort hat den Rest meines Lebens verändert", so Erzbischof Mourad. Eine solche Antwort hätte er niemals von einem Terroristen erwartet, "einem Feind. Auch wenn es für einen Nachfolger Christi keinen Feind gibt. Und wenn es doch einen geben sollte, wird man aufgefordert, ihn zu lieben." Also begann er sich in seiner Gefangenschaft eine Frage zu stellen: "Wie kann man einen Feind lieben, der einen töten will und den man selbst töten möchte? Das ist das Geheimnis der Liebe Christi, das sich so klar offenbart hat, als er am Kreuz zu seinem Vater sagte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."

Im fünften Monat seiner Haft gelang dem Mönch die Flucht mit Hilfe eines jungen Muslims, der zusammen mit 15 anderen die Flucht von Dutzenden IS-Geiseln organisierte. Mourad ist zu der inneren Gewissheit gelangt: "Gott wollte mich in dieser Welt retten, damit ich weiterhin dienen und einen wichtigen Grundsatz des Evangeliums bezeugen kann: Wenn du Frieden willst, musst du zuerst dein Herz öffnen."

"Gebet gab meinem Leben einen Sinn"

Erzbischof Mourad: "Ich kann bezeugen, dass das Gebet das Einzige ist, was meiner Gefangenschaft, meinem täglichen Leben einen Sinn gegeben hat. " Der Mensch sei schließlich "geschaffen, um frei zu denken, frei zu sprechen, sich frei zu bewegen". Einen Menschen zum Gefangenen zu machen, sei "ein Akt gegen den Willen Gottes in seiner Schöpfung". In einer solchen Lage sei das Einzige, das helfe, die Freiheit zu leben, das Gebet, "denn das Gebet macht es möglich, aus sich selbst herauszugehen, um bei Gott zu sein und um mit dem zu leben, den man liebt". Er habe ein Paradoxon erlebt: Seine Zeit in Gefangenschaft sei "die großzügigste Zeit in meinem spirituellen Leben, in meiner Beziehung zu Gott und zur Jungfrau Maria" gewesen".

Mitglied der Mönche von Mar Musa

Jacques Mourad, geboren 1968 in Aleppo, legte 1993 seine Gelübde in der syrischen Mönchsgemeinschaft Deir Mar Musa el-Habashi (Kloster des Heiligen Moses des Abessiniers) ab, deren Mitbegründer er ist. 1993 wurde Mourad auch zum Priester geweiht. Von 2000 bis 2015 leitete er das Kloster Mar Elian. Nach der Zeit seiner Entführung hielt er sich in den Filialklöstern von Cori (Italien) und Sulaymanyah (Irak) auf. 2020 kehrte er in sein Kloster Mar Elian in Syrien zurück und wurde dort Prior der Gemeinschaft. Das vom IS schwer beschädigte Kloster wurde wieder aufgebaut. Im Jänner 2023 bestätigte Papst Franziskus die Wahl Jacques Mourads zum Erzbischof von Homs durch die Bischofssynode der Syrisch-katholischen Kirche. Anfang März 2023 wurde Mourad zum Bischof geweiht.

Mourad hat seine Erfahrungen in der Gefangenschaft in dem Buch "Ein Mönch in Geiselhaft" festgehalten.