Tagung: Nahost-Christen stehen vor ungewisser Zukunft
25. September 2025

Salzburg, 25.09.25 (poi) Auch wenn die Lage im Nahen Osten derzeit extrem angespannt und unübersichtlich ist, darf dies nicht dazu führen, die Christinnen und Christen vor Ort aus den Augen zu verlieren. Das war der Tenor der jüngsten Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) und der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion im Bildungszentrum St. Virgil in Salzburg. Die Tagung war aktuellen Entwicklungen in Syrien, im Nordirak und in der Türkei gewidmet. Moderiert wurde die Tagung vom Salzburger PRO ORIENTE-Vorsitzenden Prof. Dietmar Winkler.
ICO-Obmann Slawomir Dadas wies in seiner Begrüßung auf die vielen unterschiedlichen Signale aus dem Nahen Osten hin. Deutlich wurde, dass vor allem die kleineren Religionsgemeinschaften in der Region, darunter die christlichen, mit großer Sorge in die ungewisse Zukunft blicken.
Der Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz, Erzabt em. Korbinian Birnbacher, berichtete von seinem jüngsten Besuch im Tur Abdin in der Südosttürkei. Birnbacher hat das Kerngebiet der syrisch-orthodoxen Kirche Ende August gemeinsam mit einer Delegation der ICO und der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion besucht. Er habe das Zeugnis der Syrisch-orthodoxen Kirche als besonders glaubwürdig und hoffnungsvoll erlebt, unterstrich Birnbacher.
Diese Solidaritätsreise und die zahlreichen Begegnungen mit Menschen, die zum Teil nach Jahrzehnten im westeuropäischen Ausland wieder in ihre angestammte Heimat zurückgekehrt sind, hätten ihm gezeigt, "dass sich eine Kirche - sofern sie sich auf die eigenen Wurzeln und Ursprünge besinnt und dabei offen bleibt für die Entwicklungen der Zeit - ohne Identitätsverlust auch über Jahrhunderte in einem nicht-christlichen Umfeld behaupten kann".
Komplexe politische Lage
Der Wiener Journalist und Nahost-Experte Wieland Schneider eröffnete den inhaltlichen Teil der Tagung mit einem Überblick über die politischen Entwicklungen in Syrien, im Irak und in der Türkei. Schneider warnte u.a. vor einer tickenden Zeitbombe in Lagern im kurdisch kontrollierten Nordsyrien, in denen IS-Kämpfer und ihre Familien festgehalten werden. Den kurdischen Kräften sei es kaum noch möglich, diese Lager zu kontrollieren. Drinnen würden die Kinder und Jugendlichen in einem IS-Umfeld aufwachsen und indoktriniert. Zugleich weigerten sich westliche Staaten vehement dagegen, ihre dort inhaftierten Staatsbürger zurückzunehmen.
Schneider räumte weiter ein, dass der rasche Umsturz in Syrien Ende 2024 auch von den Expertinnen und Experten so nicht vorhersehbar gewesen sei. Dass sich Machthaber Bashar Al-Assad nicht länger halten konnte, sei zum einen wohl der Schwäche seiner schiitischen Verbündeten und auch innersyrischen Machtverschiebungen bei lokalen Clans geschuldet.
Der neue syrische Präsident Ahmed al-Scharaa bemühe sich um internationale Anerkennung, gebe sich derzeit sehr moderat und sei etwa auch aktuell zur UN-Generalversammlung nach New York gereist. Zugleich bleibe große Skepsis im Blick auf seinen islamistischen Hintergrund. Selbst wenn er sich tatsächlich ideologisch umorientieren haben sollte, sei es fraglich, inwieweit ihm seine HTS-Miliz auch folgen werde. Es gebe bereits Berichte über HTS-Kämpfer, die sich dem IS anschließen wollten. Dieser sei bei weitem noch nicht besiegt. IS-Untergrundzellen gebe es in zahlreichen Städten, immer wieder würden auch Attentate verübt, das syrisch-irakische Grenzgebiet sei das konzentrierte Rückzugsgebiet der Terrormiliz.
Irakischer Bischof spricht Klartext
Den Hauptvortrag der Tagung hielt der nordirakische chaldäische Bischof Felix Shabi. Er leitet die Diözese Zakho. Er berichtete von mannigfaltigen Schwierigkeiten, denen sich die kleinen christlichen Gemeinschaften gegenübersehen. Die Sorge, wie es in Zukunft weitergeht, sei groß, so der Bischof. Noch leben rund 8.000 Christinnen und Christen ganz im Norden des Irak im strategisch wichtigen Grenzgebiet zur Türkei und zum Iran. Die Abwanderung sei ein großes Problem. Jedes Jahr würden zahlreiche christliche Familien das Land verlassen, so Bischof Shabi. Nachsatz: Er könne diese Familien angesichts der Umstände verstehen.
Bischof Shabi benannte die größten Herausforderungen, vor denen die Kirchen bzw. die christlichen Gemeinschaften stehen. Die wirtschaftliche Lage im Land sei äußerst schlecht, auch die Versorgung mit öffentlichem Strom sei mangelhaft. Viele Christinnen und Christen seien zwar gut ausgebildet, würden aber keine Jobs bekommen, da sie in der muslimisch bzw. kurdisch dominierten Gesellschaft schlechte Karten hätten. Beziehungen seien für einen Job wichtiger als eine gute Ausbildung, kritisierte der Bischof. Von Regierungsseite werde den Christinnen und Christen oft viel versprochen, doch die Umsetzung sei schwierig. Eine große Herausforderung sei zudem das vorherrschende Clansystem im Nordirak. Die Clans würden in der Praxis wie eine Parallelstruktur zu den staatlichen Organen funktionieren. Dazu komme eine latente Benachteiligung der Christinnen und Christen in der Gesellschaft. Das hindere sie, wirtschaftlich auf eigene Beine zu kommen.
Der Bischof ging selbstkritisch auch darauf ein, dass es auch innerhalb der christlichen Gemeinschaften in den Dörfern zu Neid und Streit kommt. So sei es alles andere als leicht, den Bedürftigen zielgerichtet zu helfen. Eingeleitet wurde der Vortrag von Bischof Shabi vom Salzburger Erzbischof Franz Lackner, der eindringlich dazu aufrief, die dramatische Situation der Christinnen und Christen im Nahen Osten angesichts der vielen Krisen nicht aus den Augen zu verlieren. Deren Lebenssituation sei vielfach von Armut und Gewalt geprägt. Der Nahe Osten sei aber der Ursprungsort des Christentums, so Lackner: "Wir schulden dieser Heilsgeografie unseren Glauben."
Christen in Türkei im Wettlauf mit der Zeit
Der schwedischer Rechtsanwalt Ilhan Aydin berichtete bei der Tagung über seine Bemühungen, die letzten im Turabdin in der Südosttürkei verbliebenen Christinnen und Christen zu unterstützen und ihnen bei ihren Rechtsstreitigkeiten um Landbesitz zu helfen. Aydin sprach von einem "Wettlauf mit der Zeit". Wenn es jetzt nicht gelinge, die Konflikte zugunsten der christlichen Bevölkerung zu lösen, würden immer mehr ihre Lebensgrundlage verlieren. Zugleich ortete der Rechtsanwalt aktuell Verständnis für sein Anliegen vonseiten der türkischen Politik.
Die Sicherheitslage in der Region habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, so Aydin. Konkret ist der Anwalt in mehr als 30 Dörfern aktiv und versucht, durch aufwendige Recherchen die Besitzverhältnisse zu klären. Ein weiteres Problem für die Christinnen und Christen: Wenn sich in ihrem Dorf eine besonders alte bzw. wertvolle Kirche befindet, "dann ist oft fast das ganze Dorf von den Behörden gleichsam unter Denkmalschutz gestellt worden". Das bedeute, dass die Bewohner dann auch an ihren eigenen Häusern nichts renovieren könnten bzw. Neubauten nicht möglich seien. Auch in solchen Fällen ist der Rechtsanwalt aktiv, der selbst seine Wurzeln im Tur Abdin hat. Er bemüht sich auch, dass die extrem langen Gerichtsverfahren in der Türkei beschleunigt werden.
Aydin berichtete in Salzburg von guten Gesprächen mit den türkischen Behörden. "Wir konnten schon mit einigen Ministern, dem Vizepräsidenten und dem Vorsitzenden des Parlaments sprechen und unsere Anliegen vorbringen." Präsident Recep Tayyip Erdogan habe zudem in der Causa einen eigenen Koordinator in Ankara ernannt. Die Regierung mache das alles wohl nicht aus besonderer Liebe zu den Christinnen und Christen, so Aydin auf Nachfrage, aber man wolle wohl in der Region eine Balance zwischen kurdischen und christlichen Gemeinschaften bewahren.
Aydin nannte zudem auch ein Fernziel: Während etwa die Orthodoxe und die Armenische Kirche in der Türkei einen offiziellen Status haben, wurde dies der Syrisch-orthodoxen Kirche bislang nicht gewährt. Deshalb kann die Kirche etwa auch keine eigenen Schulen betreiben. Auch hier wirbt der Rechtsanwalt um ein Umdenken in Ankara. Ein Mitstreiter dabei ist der derzeit einzige christliche Parlamentsabgeordnete George Aslan.
Vielfältiges Programm
Der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer feierte mit den Teilnehmenden der Tagung einen Gottesdienst und würdigte dabei den Gründer der ICO Hans Hollerweger. Der Filmemacher Andreas Gruber aus Wels zeigte bei der ICO-Tagung seine Impressionen von einer Reise durch den Nordirak, die er mit einem ICO-Team unternommen hatte. Er betonte, dass ihn das Bemühen der Christinnen und Christen, sichtbar zu sein, beeindruckt habe. Darum habe er bewusst ein beleuchtetes Kreuz, wie es in vielen Dörfern zu sehen ist, an den Schluss seines Beitrags gesetzt. Ihm gefällt das Zeichen, das die Christinnen und Christen damit setzen: "Wir sind da." Ein weiterer Vortragender war der in Syrien wirkende Leiter des Hilfswerks "People of Mercy", Karim Finianos.