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Theologin: Synodaler Prozess birgt viele Chancen für Kirche und Theologie

Kirchenhistorikerin und Ökumene-Expertin Riedl referierte bei PRO ORIENTE-Veranstaltung in Salzburg zum Thema "Schlaglichter auf die Synodalität der Kirche"

POI 230619

Salzburg, 19.06.23 (poi) Die vielfältigen Chancen, die der aktuelle Synodale Prozess für Theologie und Kirche mit sich bringt, hat die in Dresden lehrende österreichische Theologin Prof. Andrea Riedl bei einem Vortrag in Salzburg unterstrichen. Riedl referierte auf Einladung der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion zum Thema "Schlaglichter auf die Synodalität der Kirche".

Mit dem weltweiten synodalen Prozess sei auf Initiative von Papst Franziskus den vier traditionellen "notae ecclesiae" (Wesensmerkmale der Kirche) - Einheit, Heiligkeit, Apostolizität und Katholizität - gewissermaßen eine fünfte nota hinzugefügt worden: das ekklesiologische Leitprinzip der Synodalität, so Riedl. Historisch gesehen seien die Wesensmerkmale der Kirche immer schon dann Kritiken ausgesetzt gewesen, wenn sie als reale Kennzeichen der wahren Kirche und damit als Ist-Zustand verstanden werden sollten. "Denn dass die Kirche nicht eins ist, zeigt die christlich-konfessionelle Landschaft von nicht miteinander in Gemeinschaft stehenden Kirchen; dass sie nicht heilig ist, dafür muss man nicht einmal die zahlreichen Beispiele der Kirchengeschichte bemühen, sondern dafür reicht ein Blick auf die derzeitigen Missbrauchsskandale in der Kirche", so Riedl.

Wenn man die Wesensmerkmale der Kirche hingegen als "Werdeziele und einzulösende Ideale" versteht, so Riedl unter Zitierung des deutschen Theologen Heinrich Döring, könne gerade die Ökumene als wichtige Triebfeder dafür dienen, "dass nicht nur die Einheit der Kirche, sondern auch alle anderen Wesensmerkmale nach Kräften einzulösen sind". Es sei eine schöne Aufgabe der Kirchengeschichte als theologische Disziplin, sich dieser Realität der Kirche und der Frage zu widmen, ob und wie sie ihrem eigenen Anspruch im Lauf der Geschichte gerecht geworden ist.

Drei Prinzipien sind dabei laut Prof. Riedl besonders zu beachten. Erstens sei wohl davon auszugehen, dass die Vergangenheit zwar vollkommen anders, aber ähnlich komplex gewesen sein mag wie die Gegenwart. Zweitens sei Geschichte mehr als nur ein lineares Begründungsschema der heutigen Wirklichkeit. Dies werde insbesondere darin deutlich, "dass es üblich war und auch heute ist, eine reiche kirchliche Tradition für durchaus unterschiedliche Gegebenheiten zu bemühen", so Riedl: "Dass die Kirche eine noch viel intensiver zu erforschende synodale Tradition hat, steht außer Frage. Allerdings gab es - um ein Beispiel zu nennen - im 11. Jahrhundert zur Zeit der so genannten Gregorianischen Reform ebenfalls eine reiche Tradition gewissermaßen des Gegenteils, indem die Zurückdrängung übermäßigen Einflusses von Laien in und auf die Kirche breitenwirksam propagiert wurde."

Bemerkenswert sei drittens auch die kirchengeschichtliche Erkenntnis, dass die Vierzahl der traditionellen "notae ecclesiae" gelegentlich je nach Erfordernis von Zeit und Theologie ergänzt wurde: Die bereits erwähnte Gregorianische Reform habe etwa die "libertas ecclesiae" - die Freiheit der Kirche von weltlichem Einfluss verkündet und gefördert. Martin Luther habe die vier "notae" kritisiert und mit einer Ekklesiologie der Reformation überschrieben, auf die wiederum Robert Bellarmin einige Jahrzehnte später mit seinen insgesamt 15 gegenreformatorisch ausgerichteten "notae" reagierte. Riedl: "So konnten die 'notae' der Kirche auch zu Abgrenzungsmerkmalen und Grenzziehungen werden. Sie mussten nicht unbedingt eine feststehende Größe darstellen, sondern waren (und sind) gebunden an das jeweilige Kirchen- und Glaubensverständnis."

Den "sensus fidelium" fruchtbar machen

Wie Riedl in ihrem Vortrag weiter ausführte, steht in enger Verbindung zu Fragen der Synodalität der Versuch, den "sensus fidei" bzw. "sensus fidelium" - den Glaubenssinn der Kirche bzw. der Gläubigen - zu fassen und fruchtbar zu machen. Die Balance zwischen reagierender und agierender Instanz, zwischen Korrektiv und Quelle theologischer Erkenntnis sei dabei Hauptfokus vieler aktueller theologischer Debatten. Wichtige Dokumente wie der Text der Internationalen Theologischen Kommission zum "sensus fidelium" im Leben der Kirche (2014), die Apostolische Konstitution über die Bischofssynode "Episcopalis communio" (2018) und der Orientierungstext des Synodalen Weges (2023) bemühten sich, bewusst das Proaktive des Glaubenssinnes zu betonen.

"confessores", Mönchtum, Märtyrer

Beispiele dieser proaktiven und damit nicht (nur) reagierenden Rolle des Glaubenssinnes habe u.a. die deutsche Kirchenhistorikerin Heike Grieser für die Epoche der Alten (vorkonstantinischen) Kirche herausgearbeitet, auf die Riedl in ihrem Vortrag einging. Sie nannte drei Beispiele: die "confessores", das frühe Mönchtum und die Märtyrer.

Im Agieren der frühkirchlichen "confessores" - Bekennerinnen und Bekenner, die zwischen Amt und Dienst verortet waren und die den so genannten "libellus pacis" (Friedensbrief) zur Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Kirche ausstellen konnten - würden auf mehreren Ebenen Initiativen von Laienchristen deutlich, denen eine besondere Autorität im Leben der Kirche zugesprochen wurde. Erst sekundär hätten die bischöfliche Amtskirche in der Person Cyprians und mehrerer afrikanischer Synoden einschränkend und intervenierend auf die Tätigkeiten der "confessores" reagiert.

Das Mönchtum sei die wohl größte Aufbruchsbewegung von Laien in der Antike gewesen, so Riedl weiter. Die Prinzipien der Mönche seien nach und nach auch dem Klerus anempfohlen und letztlich auferlegt worden. Dazu gehöre der Zölibat, dessen Wurzel in der Alten Kirche und dessen Durchschlagkraft im 11. Jahrhundert beide Male monastisch geprägt waren, und ebenso die Tendenzen des Zusammenschlusses von Klerikergemeinschaften, wie sie bei Augustinus zu finden sind. Beide Initiativen seien sekundär von der Amtskirche adaptiert und weiter geformt worden.

Schließlich wies Riedl auf die Märtyrerinnen und Märtyrer und deren immense Bedeutung als religiöse Leitbilder bzw. als Vorbilder, die als Heilige verehrt wurden, hin. Deren Status, Herkunft und Geschlecht seien oft zweitrangig gewesen. Riedl: "Die Verehrung von Heiligen ist in erster Linie ein Phänomen des Volksglaubens, das zwar für kirchliche Führungsansprüche verwendet werden konnte, das aber oft genug - sekundär - Eingang in das Gefüge der Amtskirche fand."

Feministische kirchengeschichtliche Forschung

Ein schöner Ertrag der aktuellen Synodalitätsdebatten für die Kirchengeschichte liegt für Riedl zudem darin, dass seither vielfach mit neuen Fragestellungen an die Quellen herangegangen wird. Die Sondierung von Synodalität sei somit ein inspirierender Motor für die synodale Spurensuche in der Geschichte der Kirche. Riedl zeigte sich überzeugt, "dass dies wichtige Ergebnisse bringen kann und wird". Dies zeige nicht zuletzt die feministische kirchengeschichtliche Forschung, "die - anders, aber durchaus vergleichbar - zeigt, dass die Fragen an die Quellen entsprechend nachgeschärft oder neu gestellt werden".

Andrea Riedl ist seit 2020 Fachbereichsleiterin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Ihre Forschungsarbeiten wurden u.a. mit dem renommierten Franz J. Vogel-Preis für Kirchengeschichte (2018) und dem Preis der Gesellschaft zum Studium des Christlichen Ostens (2017) ausgezeichnet. Sie ist Beraterin der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz und gehört dem Vorstand von PRO ORIENTE an.

"Synodalität als Möglichkeitsraum"

Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch das bei Tyrolia erschienene neue Buch "Synodalität als Möglichkeitsraum" vorgestellt. Es enthält u.a. die Beiträge der interdisziplinären Vortragsreihe "Gemeinsam unterwegs: Synodalität als Möglichkeitsraum", die 2022 von der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg gemeinsam mit der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion durchgeführt wurde. Herausgeber sind Dietmar W. Winkler, Professor für Patristik und Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg und Vorsitzender der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion, sowie Roland Cerny-Werner, Assoziierter Professor für neuere Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.

Dietmar W. Winkler, Roland Cerny-Werner (Hg.): Synodalität als Möglichkeitsraum. Erfahrungen - Herausforderungen - Perspektiven. Salzburger theologische Studien 71, Tyrolia-Verlag, 2023.