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Wie junge Christinnen und Christen im Heiligen Land leben

Junge Erwachsene aus dem Heiligen Land berichteten in Österreich über die schwierige Lage der christlichen Minderheit

POI 231004

Wien/Salzburg, 04.10.23 (poi) Eine junge Christin und ein junger Christ aus dem Heiligen Land - Daniella Dukmak und Afif Meiki - haben dieser Tage Österreich besucht, um auf Einladung der Stiftung PRO ORIENTE und der Initiative Christlicher Orient (ICO) über ihren schwierigen Alltag in Israel und in Palästina zu berichten.

Daniella Dukmak (25) stammt aus Betlehem und lebt im Nachbarort Beit Jala im Westjordanland. In Beit Jala sind rund 60 Prozent der Bevölkerung Christen. Die (evangelische) Schule, die Daniella bis zur Matura besuchte, wurde zu 80 Prozent von christlichen Schülerinnen und Schülern besucht. Der Wechsel an die palästinensische al-Quds-Universität bei Jerusalem brachte sie in einen neuen Kontext. Daniella studierte Zahnmedizin. In ihrem Jahrgang sei sie die einzige Christin unter 160 Studentinnen und Studenten gewesen, sagte sie. Von den knapp 90 Studentinnen war sie die einzige ohne Kopftuch. Viele muslimische Studentinnen und Studenten kämen aus ländlichen Gebieten, in denen es inzwischen keine christliche Präsenz mehr gibt, so dass sie einheimischen Christinnen und Christen bislang kaum begegnen konnten.

Dazu kämen jeden Tag die israelischen Checkpoints auf dem Weg zur Uni. Auch der Alltag an der Universität sei immer wieder von Unruhen geprägt gewesen, etwa wenn das israelische Militär die Uni umstellt habe und die Studierenden das Gebäude nicht hätten verlassen können. Nicht nur einmal kam sie auch zu einer Prüfung zu spät, weil es bei den Checkpoints zeitweise kein Weiterkommen gab. Doch Daniella hat sich durchgekämpft und vor zwei Jahren ihr Studium beendet. Seither arbeitet sie in der Praxis ihrer Mutter in Beit Jala.

Daniella lebt in Beit Jala mit ihrer Familie im sogenannten "C-Gebiet", das vollständig unter israelischer Militärverwaltung steht, auch in zivilen administrativen Fragen. Damit benötigen die in diesen Gebieten lebenden Palästinenser z. B. Baugenehmigungen von der israelischen Militärverwaltung, die nur äußerst selten gewährt werden, auch wenn kein Zweifel an der Eigentümerschaft der betreffenden Grundstücke besteht. Ihr Vater habe ein kleines Nebengebäude zum Haus errichten wollen, damit die Familie ein wenig mehr Platz hat. Doch das Militär habe den begonnenen Bau wieder abgerissen. So lebt Daniella nach wie vor mit ihren drei Geschwistern in einem einzigen Raum.

Daniella betont dennoch, dass sie in ihrer Heimat bleiben will – trotz mangelnder Bewegungsfreiheit, wenig Arbeitsmöglichkeiten und einem krassen Mangel an Zukunftsperspektiven.

Jerusalem liegt nur sieben Kilometer von Beit Jalla entfernt. Seit sieben Jahren hat Daniella keine Genehmigung mehr bekommen, nach Jerusalem zu fahren. Für ihre - hoffentlich - künftigen Kinder wünscht sie sich, dass diese in einer freien Gesellschaft, ohne Grenzen, dafür in Frieden aufwachsen können. "Wir sind eine friedliche Familie. Wir wollen einfach in Freiheit leben", sagt Daniella. Je länger die Bevölkerung Palästinas eingesperrt sei, umso größer seien Stress und Verzweiflung – eine gefährliche Spirale der Gewalt. Daniella hat auch Angst vor einem weiteren Anstieg des nationalistischen oder religiösen Extremismus in der Region, von welcher Seite auch immer.

Arabische Christen in Israel

Afif Meiki lebt in einem gänzlich anderen Kontext, mit völlig verschiedenen Voraussetzungen. Der arabische Christ ist israelischer Staatsbürger. Er lebt im Norden Israels in Tarshiha, einem Dorf, in dem Muslime, Drusen und Christen leben. In Afifs Dorf macht die christliche Bevölkerung etwas unter 15 Prozent aus. Der jüdisch-israelische Nachbarort Maalot wurde in den 1960er Jahren mit Tarshiha zu einer Kommune vereinigt. Eigentlich habe man früher relativ gut mit- bzw. zumindest nebeneinander gelebt, erzählt der 24-Jährige. Seit einigen Jahren gebe es aber in der gesamten Region ein Erstarken radikaler Gruppen verschiedener politischer und religiöser Prägungen, die weiter auf dem Vormarsch seien.

Da es für Afif keine Möglichkeit gab, in Israel Medizin zu studieren, hat er sich entschieden, sich an der Nablus-Universität im Westjordanland einzuschreiben. Die Universität genießt einen guten Ruf, für die wenigen christlichen Studierenden sei der Alltag allerdings nicht einfach, wie Afif berichtet. Die Uni hat rund 20.000 Studierende, davon sind gerade einmal 120 christlich. Um den Zusammenhalt unter den christlichen Studentinnen und Studenten zu stärken, hat Afif die Vereinigung "Christliche Jugend" mitgegründet, die sich regelmäßig trifft. Für Afif ist der Einsatz für religiöse Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein wichtiges Anliegen.

Afif und Daniella zeigten sich überzeugt, dass die Zukunft der Christinnen und Christen im Heiligen Land sehr stark davon abhängt, ob es gelingt, den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit unter den einzelnen Kirchen zu stärken. Afif ist griechisch-orthodox, Daniella katholisch, das hindert sie aber in keiner Weise daran, sich gemeinsam zu engagieren. Daniella arbeitet führend in der Jugendorganisation "Youth of Jesus-Homeland" mit, eine katholische Einrichtung mit ca. 400 Mitgliedern. Afifs "Christliche Jugend" hat rund 90 Mitglieder.

Afif und Daniella machten klar, dass aus ihrer Sicht die Kirchenoberhäupter bzw. die Verantwortlichen in den Kirchen vor Ort viel stärker die Bedürfnisse der jungen Christinnen und Christen in den Blick nehmen müssten.

PRO ORIENTE-Nahost-Programm

Die beiden haben am Nahost-Jugendprogramm der Stiftung PRO ORIENTE teilgenommen und arbeiten darin auch jetzt weiter. PRO ORIENTE veranstaltet seit 2022 gemeinsam mit der "We choose abundant life"-Gruppe im ganzen Nahen Osten Workshops, bei denen junge Menschen aus den verschiedenen Kirchen die politische, ökonomische, gesellschaftliche und kirchliche Situation in ihren Heimatländern reflektieren und Zukunftsszenarien für Verbesserungen erarbeiten. Hunderte junge Menschen haben inzwischen daran teilgenommen.

Daniella Dukmak und Afif Meiki haben gemeinsam mit Viola Raheb von PRO ORIENTE in der vergangenen Woche an der ICO-Jahrestagung in Salzburg teilgenommen, die unter dem Generalthema "Christentum im Heiligen Land - Gegenwart und Zukunft" stand. Dabei berichteten die drei über ihre Erfahrungen.

Weitere Vorträge hielten Daniella und Afif in einigen Schulklassen in Salzburg. In Wien trafen sich die beiden mit Vertreterinnen und Vertretern der Katholischen Jugend Österreich und der Jungen Kirche in der Erzdiözese Wien sowie der Evangelischen Jugend.

"Wir wollen gehört werden"

Viola Raheb, Verantwortliche des PRO ORIENTE-Nahost-Jugendprojekts, formulierte zum Abschluss des Besuchs, dass sie mit Besorgnis beobachte, dass die junge Generation sowohl in Israel als auch in Palästina in immer schwieriger werdenden Kontexten mit fehlenden Zukunftsperspektiven aufwachsen müsse. Die Begegnungs- und Vernetzungsmöglichkeiten seien aufgrund der politisch bedingten Fragmentierung massiv eingeschränkt. Gleichzeitig mache es aber Hoffnung zu sehen, wie stark sich die jungen Leute für eine bessere Zukunft einsetzten, sowohl für die eigene, als auch für das Gemeinwohl. Auch die Stimmen dieser Generation sollten berücksichtigt werden, so Raheb, wenn über die Zukunft der Christinnen und Christen im Heiligen Land nachgedacht und gesprochen wird.

Abschließend schloss sie sich dem Appell der beiden Jugendlichen an, den diese wie folgt formuliert haben: "Es geht uns nicht um finanzielle Unterstützung – wir wollen gehört werden. Wir möchten unsere Geschwister im Glauben einladen, uns in unserer Heimat zu besuchen und sich mit unserer Lebensrealität vertraut zu machen."