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Assyrische Christen: Gedenken an das Massaker von Simele vor 89 Jahren

Bei Überfällen irakischer und kurdischer Truppen auf christliche Dörfer im Nordirak kamen im Sommer 1933 bis zu 9.000 Menschen ums Leben, viele weitere mussten ihre Heimat verlassen

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Aramäischsprachige (assyrische) Christinnen und Christen in aller Welt gedenken am 7. August wieder des Massakers von Simele. Der Gedenktag erinnert an die Verbrechen an der christlichen Bevölkerung im Jahr 1933 im Nordirak. Vor 89 Jahren hatten irakische Truppen einen angeblich geplanten "Aufstand" der assyrischen Christen mit brutaler Härte niedergeschlagen. Bis zu 9.000 assyrische Christinnen und Christen kamen damals ums Leben. Der Großteil gehörte der Assyrischen Kirche des Ostens an, es gab aber auch Opfer, die zur chaldäischen Kirche oder zu den anderen im Irak befindlichen Denominationen gehörten.

Patriarch Mar Awa III. Royel, Oberhaupt der Assyrischen Kirche des Ostens, bezeichnete die Ereignisse vor 89 Jahren in einer TV- Ansprache dieser Tage als tiefe bleibende Wunde für das assyrische Volk. Dieses würde darunter noch immer leiden. Er rief die assyrischen Christen zur Einheit auf und betonte, dass sie im Irak keine Gäste seien, sondern Einheimische.

Im Sommer 1933 wurden in mehreren Angriffswellen rund 60 christliche Dörfer im Nordirak von irakischen und kurdischen Truppen überrannt und zerstört. Das größte Massaker fand im Dorf Simele am Tigris statt, das zum Namensgeber für die Verbrechen wurde. Dort starben am 7. August 1933 etwa 350 Menschen, die in der örtlichen Polizeiwache Zuflucht gesucht hatten. In Folge wurden zwischen dem 11. und dem 16. August in Mosul und Dohuk tausende weitere Frauen, Männer und Kinder ermordet. Unzählige Frauen und auch Mädchen wurden vergewaltigt. Noch bis zum Ende des Monats kam es immer wieder zu Übergriffen. Die irakische Regierung warf den Assyrern vor, einen gewaltsamen Umsturz zur Gründung eines eigenen Staates vorzubereiten.

Die Massaker waren ein weiteres tragisches Kapitel in der Geschichte der Assyrischen Kirche des Ostens. Im hoffnungslosen Kampf gegen osmanische Verbände flüchteten sie 1915 aus ihrem heimatlichen Bergland und schlossen sich den Engländern an. Diese nutzten die Assyrer jedoch für ihre eigenen Machtinteressen aus. Am Ende verloren die Assyrer mit dem Hakkari-Gebiet nicht nur ihr Kernland ganz im Südosten der heutigen Türkei. Es kam auch etwa ein Drittel der christlichen assyrischen Bevölkerung im Zuge der später allgemein als "Völkermord" eingestuften Massaker an Christinnen und Christen der armenischen und syrischen Traditionen um. Ein Katholikos wurde 1918 von einem kurdischen Führer ermordet, sein Nachfolger starb 1920 in einem Flüchtlingslager. Viele der Überlebenden flohen in den Irak, in der Hoffnung, von den Briten in Schutz genommen zu werden. Doch 1932 endete das britische Mandat über den Irak und unheilvolle Entwicklungen begannen auch dort. Im Dezember 1932 wurde vom Völkerbund das Recht der Assyrer auf Eigenständigkeit abgelehnt. Die Engländer hielten zuvor gegebene Versprechen, die Assyrer zu unterstützen, nicht ein. Sie griffen auch nicht ein, um die Massaker zu verhindern.

Nach den Massakern vom Sommer 1933 befasste sich der Völkerbund nochmals mit den Assyrern und debattierte über eine neue Heimstätte für sie. Merkwürdigste Umsiedlungspläne nach Brasilien, Ostafrika, Lateinamerika oder Kanada wurden erwogen. Eine Teillösung wurde dann in Syrien gefunden: 9.000 Assyrerinnen und Assyrer fanden Zuflucht im verlassenen und gänzlich unkultivierten Gebiet des Khabur-Flusses. Ein beträchtlicher Teil von ihnen zog jedoch weiter in andere Gebiete Syriens, des Iraks, des Irans oder des Libanons. Andere wanderten nach Europa, Australien und Nordamerika aus.

Der assyrische Katholikos-Patriarch wurde aus dem Irak verbannt. Sein Sitz wurde in der Folge nach San Francisco, später nach Chicago verlegt. Erst Patriarch Mar Gewargis III., der bis 2021 die Kirche leitete, verlegte ihn zurück in den Irak, in die Stadt Erbil im kurdisch dominierten Nordosten des Landes.

Das Massaker von Simele inspirierte den polnisch-jüdischen Juristen Ralph Lemkin (1900-1959) zur Entwicklung des Begriffs "Völkermord" (Genozid). Unter dem Eindruck des Schicksals der assyrischen Christen referierte er bei einer Konferenz des Völkerbunds über internationales Strafrecht 1933 in Madrid über "das Verbrechen der Barbarei als Verbrechen gegen das Völkerrecht". Später entwickelte er aus diesem Referat den Begriff "Völkermord".