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"Healing Wounded Memories" - PRO ORIENTE-Projekt geht in die nächste Runde

Nach erster Konferenz in Wien sollen nun Workshops in Südosteuropa, im Nahen Osten und in Osteuropa folgen - Konferenzverantwortliche Elsner und Raheb ziehen positive Auftaktbilanz

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Foto: Pro Oriente

Wien, 14.11.23 (poi) Nach einer ersten erfolgreichen internationalen Konferenz in Wien geht das PRO ORIENTE-Projekt "Healing of Wounded Memories" nun in die Regionen. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten waren vom 9. bis 11. November nach Wien gekommen, um verschiedene Aspekte einer Theologie der Versöhnung zu reflektieren, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in den Blick zu nehmen. Ausgehend von den Ergebnissen der Konferenz werden 2024 und 2025 regionale Workshops in Südosteuropa, im Nahen Osten und in Osteuropa folgen. Das wurde zum Abschluss der Wiener Konferenz vereinbart.

Bei diesen folgenden Workshops sollen lokale ökumenische Verständigungs- und Versöhnungsinitiativen gestärkt werden. Es geht um das Lernen anhand von Best-Practice-Beispielen und um Vernetzungen, im akademischen Bereich ebenso wie an der Basis. Nicht zuletzt sollen die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse auch wieder in eine Theologie der Versöhnung einfließen. Die Ergebnisse der regionalen Workshops sollen schließlich im Herbst 2025 oder Frühjahr 2026 nochmals in einer großen Abschlusskonferenz in Wien zusammengeführt und für die weitere kirchliche und theologische Versöhnungsarbeit fruchtbar gemacht werden.

Die Idee für das Projekt "Healing of Wounded Memories" wurde von der gleichnamigen Arbeitsgruppe der PRO ORIENTE-Kommission für orthodox-katholischen Dialog entwickelt, deren Sprecherin die deutsche Ostkirchen-Expertin Regina Elsner ist. Elsner und PRO ORIENTE-Projektreferentin Viola Raheb waren gemeinsam für die inhaltliche Planung und Vorbereitung der Konferenz zuständig. Gegenüber dem PRO ORIENTE-Informationsdienst zogen beide eine positive Bilanz der Wiener Konferenz, die durch intensive und offene Diskussionen, exzellente Vorträge und viele wertschätzende persönliche Begegnungen geprägt gewesen sei – bei aller Brisanz der Themen.

Den Kontext des Nahen Ostens beleuchteten beispielsweise die frühere Generalsekretärin des Nahost-Kirchenrates, Prof. Souraya Bechealany, der frühere libanesische Staatsminister und heutige Präsident der St.-George-Universität in Beirut, Prof. Tarek Mitri, und der antiochenisch-orthodoxe Bischof Elias Toume. Einblicke in den ukrainisch-osteuropäischen Kontext gaben u.a. der Theologe Sergii Bortnyk, Professor an der Theologischen Akademie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche in Kiew, und der Kiewer Priester und Theologe Fr. Andrij Dudchenko, der der Orthodoxen Kirche der Ukraine angehört. Zu Südosteuropa referierten u.a. der serbisch-orthodoxe Bischof von Deutschland, Grigorije (Duric), der Leiter des "Jesuit Refugee Service" in Südosteuropa, Fr. Stanko Perica SJ, und die katholische Theologin und Friedensaktivistin Ana Marija Raffai aus Kroatien.

Gerechtigkeit im Mittelpunkt

Eingebettet in die Konferenz hielt am Freitagabend Prof. Tarek Mitri einen öffentlichen Vortrag, zu dem PRO ORIENTE gemeinsam mit der Diplomatischen Akademie Wien in deren Räumlichkeiten eingeladen hatte. Vergebung sei nicht nur ein moralischer oder religiöser Akt, sondern auch ein politischer, denn Vergebung diene dem Ziel der Wiederherstellung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, hob der frühere Politiker hervor.

Im Blick auf die Religion betonte Mitri, dass es Konflikte zwischen Gemeinschaften gebe, in denen unterschiedliche religiöse Traditionen überliefert würden, deren jeweiliger religiöser Glaubensinhalt gesellschaftlich jedoch nicht von allzu großer Bedeutung sei: "Eine Religion, an die die Menschen wenig oder gar nicht glauben, definiert weiterhin eine Gemeinschaft, an die sie stark glauben. Beispiele aus meinem eigenen Land, dem Libanon, gibt es zuhauf. Es gibt Menschen, die nicht an ihre eigene Religion glauben müssen, um die Religion der anderen zu hassen."

Was den Prozess einer "Heilung von Erinnerungen" anbelangt, erachtete Mitri die Suche nach der historischen Wahrheit zwar für wichtig, gab aber zu bedenken, dass diese vielleicht nicht immer gefunden werden könne - und selbst wenn dies möglich sei, werde sie vielleicht nicht von allen akzeptiert. Die Arbeit an einer echten Versöhnung, bei der das Gebot der Gerechtigkeit im Mittelpunkt stehe, könne die Wunden der Geschichte besser heilen, zeigte sich Mitri überzeugt.

Politik und Religion

Regina Elsner berichtete in der Rückschau auf die Tagung von bereichernden praktischen Beispielen, wie Misstrauen und Feindschaft überwunden werden könnten, ebenso seien aber auch Misserfolge bzw. Fehleinschätzungen zur Sprache gekommen. Deutlich geworden sei bei der Tagung die Notwendigkeit, "dass Politik und Theologie mehr miteinander sprechen". Religion und Politik hätten beide große Macht im Blick auf die Konstruktion von Erinnerung.

Elsner hob zugleich die Bedeutung der Erinnerung an die Ergebnisse ökumenischer Gespräche vergangener Jahrzehnte hervor. Hier ortete die Theologin eine gewisse "ökumenische Amnesie". Man müsse freilich auch der jungen Generation zugestehen, "dass sie ihre eigenen Wege findet und geht", so Elsner.

"Zeichen der Hoffnung"

Als eine Quintessenz der Tagung bezeichnete Viola Raheb die regionsübergreifende Erkenntnis, dass die Kirchen im Bemühen um Frieden eine eminent wichtige Aufgabe haben. Ein Rückzug von diesem gesellschaftlichen Grundauftrag hin zu einem stärker an individualistisch-spirituellen Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Dienst der Kirchen sei dabei nicht zu rechtfertigen. Sie vermisse in diesem Zusammenhang prophetische Stimmen in den Kirchen, die derzeit bisweilen den Eindruck vermittelten, stark durch das Laborieren an einem Relevanz- bzw. Glaubwürdigkeitsverlust in Anspruch genommen zu sein, sagte Raheb.

Bei der Konferenz ging es um verschiedene Konfliktregionen, die sich noch mitten im Krieg bzw. Konflikt befinden. Viele Wunden bluteten noch, sagte Raheb, und es kämen täglich neue hinzu. Von einer Heilung könne deshalb im Moment nicht die Rede sein. Dass es möglich sei, in einer interkonfessionellen ökumenischen Gemeinschaft gemeinsam darum zu ringen, wie Versöhnungsprozesse dennoch schon angestoßen werden könnten, sei ein deutliches "Zeichen der Hoffnung", so die Theologin.

Die Wiener PRO ORIENTE-Tagung wurde vom Bundeskanzleramt, dem Außenministerium, dem deutschen katholischen Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, der Erzdiözese Köln, der Stiftung Zusammenleben und dem Vienna Meeting Fund unterstützt.

Infos: www.pro-oriente.at/projekte/healing-of-wounded-memories