Theologe Winkler: Kirchen können Brückenbauer oder Brandstifter sein
10. September 2025
Salzburger PRO ORIENTE-Vorsitzender Prof. Winkler referierte bei Pro Scientia-Sommerakademie in Horn über Einfluss der Kirchen auf Kriege und Konflikte

Foto: MIG-Pictures e.U. / Michaela Greil
Der Frage, ob Religionen in Kriegen und Konflikten eher Brückenbauer oder Brandstifter sind, ging der Salzburger Theologe Prof. Dietmar Winkler dieser Tage in seinem Festvortrag bei der Pro Scientia-Sommerakademie in Horn nach. Winkler beschränkte sich in seinen Ausführungen auf das Christentum. Sein Befund: "Christliche Konfessionen sind weder per se Brückenbauer noch automatisch Brandstifter. Ihr Einfluss auf Kriege und Konflikte hängt stets vom historischen, politischen und kulturellen Kontext ab, in dem sie agieren, sowie von der Auslegung theologischer Prinzipien."
Evangelische, orthodoxe und katholische Kirchen hätten sowohl Impulse zur Versöhnung und Friedensstiftung gegeben als auch nationale oder politische Interessen unterstützt. "Brückenbau ist möglich, aber nie garantiert", so Winkler, "die Spannungen zwischen universaler moralischer Verantwortung und politischer Parteinahme bestehen fort, ebenso die Versuchung, Religion zu instrumentalisieren".
Winkler ist Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Salzburg und Vorsitzender der Salzburger PRO ORIENTE-Sektion. Er ging in seinen Ausführungen u.a. auf den Weltkirchenrat (ÖRK), die Orthodoxie und den Vatikan ein. Im Blick auf den Weltkirchenrat konstatierte der Theologe, dass der ÖRK seit der russischen Invasion in der Ukraine vor seiner größten Krise seit dem Ende des Kalten Krieges stehe. Der von der Russisch-orthodoxen Kirche unterstützte "Heilige Krieg" gefährde die ökumenische Einheit massiv.
Winkler: "Angesichts zerstörter Kirchen, gesegneter Waffen und anhaltender Gewalt fordern viele Mitgliedskirchen - vor allem im Westen, aber auch orthodoxe - den Ausschluss der Russischen orthodoxen Kirche. Der Weltkirchenrat hält sie jedoch am Tisch, um Dialog und Verantwortung zu ermöglichen, und bewegt sich damit zwischen institutioneller Neutralität und moralischer Pflicht." Westliche protestantische Kirchen und Ostkirchen versuchten im Rahmen des Weltkirchenrates Brücken zu schlagen - "und scheitern dabei immer wieder". Dennoch gebe es wohl keine Alternative zum Dialog, so Winkler.
Konfliktreiche Orthodoxie
Ausführlich beleuchtete Prof. Winkler die Orthodoxie. Er nannte als positives Beispiel das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, das sich im gesamten 20. Jahrhundert als Brückenbauer zwischen den orthodoxen Kirchen und zu den anderen christlichen Konfessionen hervorgetan habe. Negativ bewertet er dagegen die Rolle der Russisch-orthodoxen Kirche im Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die Serbisch-orthodoxe Kirche in ihrem komplexen Verhältnis zur serbischen Regierung und zum Kosovo.
Enttäuscht zeigte sich Winkler etwa im Blick auf die Serbisch-orthodoxe Kirche über Patriarch Porfirije. Mit der Wahl des neuen Patriarchen im Jahr 2021 habe sich zunächst die Hoffnung auf einen gemäßigten Kurs in den Nationalitätenfragen der Region verbunden. "Damals schien ein Brückenbauer an die Spitze der Serbisch-orthodoxen Kirche getreten zu sein - einer, der nationale Identität nicht verleugnet, sie aber in ein universales christliches Bekenntnis einordnet", so Winkler.
Nun jedoch irritiere etwa ein Besuch in Moskau im April 2025, bei dem Patriarch Porfirije sowohl Patriarch Kyrill als auch Präsident Putin traf. Dabei sei die orthodoxe Verbundenheit in pathetischen Worten beschworen worden. Das Treffen habe enormen politischen Charakter gehabt. Besonders bemerkenswert sei Porfirijes Warnung an Putin vor einer vermeintlichen "Farbrevolution" in Serbien gewesen. Die anhaltenden Proteste gegen Präsident Vucic deutete er als westlich gesteuert und bat Russland ausdrücklich um Unterstützung - sowohl in der Kosovo-Frage als auch im Hinblick auf die Republika Srpska.
Damit dränge sich die Frage auf, so Winkler, "ob die Serbisch-orthodoxe Kirche erneut in die Rolle einer ideologischen Stütze eines autoritären Regimes hineinwächst". Porfirije selbst habe den Westbalkan-Friedensprozess in Moskau indirekt delegitimiert, indem er Serbien als "kleines Schiff" im Schutz eines "großen russischen Schiffes" präsentierte. Eine solche Haltung „schwächt den interreligiösen und politischen Dialog und unterminiert die ohnehin fragile Stabilität der Region erheblich“, so Winkler.
Besonders schwer tue sich die Serbische Kirche auch mit dem Thema Kosovo. Eine politische Unabhängigkeit des Kosovo komme für sie nicht infrage. Das Amselfeld (Kosovo Polje) sei bis heute ein mythisch aufgeladener Ort - für die Kirche ebenso wie für das nationale Selbstverständnis der Serben.
Die ideologische Verflechtung von Politik und Kirche zeige sich aber etwa auch im russischen Kulturkampf gegen den Westen: Der Moskauer Patriarch Kyrill propagiere traditionelle Familienwerte, verurteile Liberalismus und Homosexualität und stelle die russische Gesellschaft als Bollwerk gegen einen angeblich dekadenten Westen dar. Winkler: "Patriarch Kyrill hat die Russisch-orthodoxe Kirche in eine gefährliche Abhängigkeit vom Kreml geführt. Die enge Allianz zwischen Religion und Macht stärkt Putins ideologische Legitimation, schwächt aber die Glaubwürdigkeit und Einheit der Orthodoxie - und hinterlässt inmitten des Krieges eine zutiefst gespaltene Kirche."
Diplomatie des Heiligen Stuhls
Ausführlich analysierte der Salzburger Theologe auch die Diplomatie des Heiligen Stuhls bzw. der Päpste. Im 20. Jahrhundert musste sich die Katholische Kirche angesichts erheblicher Macht- und Territorialverluste neu orientieren. Besonders das Zweite Vatikanische Konzil habe dabei einen Wendepunkt in den Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen, im interreligiösen Dialog und im Verhältnis zu Nicht-Gläubigen markiert. Gleichzeitig sei der Vatikan - nunmehr als machtloser Kleinstaat - auf die internationale Bühne getreten und habe nicht selten eine globale Vermittlerrolle in politischen und diplomatischen Fragen eingenommen.
Seine friedensethische Diplomatie habe den Heiligen Stuhl im Kalten Krieg zu einem glaubwürdigen Vermittler gemacht. Kritik, etwa an Papst Franziskus' vorsichtiger Wortwahl gegenüber Russland im Ukrainekrieg, "lässt sich nur vor diesem historischen Hintergrund angemessen einordnen", so Winkler. Hier müsse man aber auch zugleich die Problematik vatikanischer Brückenfunktion aufzeigen, die Winkler auf zwei Punkte kondensierte.
Erstens zeige sich ein Dilemma der vatikanischen Weltpolitik "darin, dass man den Anspruch hat, neutraler Vermittler mit besonderer globaler moralischer Autorität zu sein, andererseits aber unweigerlich Partei ergreift." Die Geschichte der Katholischen Kirche als Kirche des Weströmischen Reiches bringe es mit sich, "dass man auf der Seite des Westens und seiner Werte steht, die die Katholische Kirche selbst grundlegend prägte". Der Heilige Stuhl sehe diese "als göttlich gegeben, überzeitlich und universell, gültig sowohl für den Osten als auch für den Westen".
Zweitens zeigten sich nach dem Ende des Eisernen Vorhangs Schwierigkeiten im Umgang mit der politischen Neuordnung. Polyzentrik und Multilateralität der Welt seien noch nicht hinreichend erkannt worden, so Winkler: "Die Päpste dachten weiterhin in bipolaren Mustern; dies war leichter, da der Konflikt strukturiert war. Johannes Paul II. kam etwa nicht damit zurecht und verstand nicht, dass sich die polnische Bevölkerung nach dem Ende des Kommunismus nicht automatisch der Katholischen Kirche zuwandte, die sie in ihrem Kampf um Freiheit so massiv unterstützte."
Hinzu kämen heute Glaubwürdigkeitsverluste durch Missbrauchsskandale, die das moralische Gewicht der Institution schwächen. Ebenso problematisch sei, "wenn sich die Katholische Kirche zu sehr auf interne Probleme konzentriert, statt gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil den Dialog mit der Welt und den Religionen zu suchen", so Winkler.