Pro Oriente
News / Wien: Symposion unterstreicht eigenständige Identität der Ukraine

Wien: Symposion unterstreicht eigenständige Identität der Ukraine

Nationaldirektor Kraljic: Ukraine und Russland in gleicher Weise Erben der alten Kiewer Rus - PRO ORIENTE-Präsident Kloss: Unbedingter Einsatz für den Frieden

POI 220315

Fotos: Theologische Kurse

Die eigenständige Identität der Ukraine stand im Mittelpunkt eines Kurzsymposions, zu dem dieser Tage die Wiener Theologischen Kurse und die Stiftung PRO ORIENTE geladen hatten. Russland und die Ukraine verbinde eine lange, aber nicht immer konfliktfreie Beziehung, so der Tenor der Veranstaltung, bei der auch in einer Schweigeminute der Opfer des Krieges gedacht wurde.

Mit bewegenden Worten schilderte die aus der Ukraine stammende Kirchenhistorikerin Khrystyna Fostyak in einem Grußwort die Situation in ihrem Heimatland. Mehr als zwei Millionen Menschen mussten bereits ihre Heimat verlassen, so Fostyak: "Viele Städte liegen in Ruinen. Unter den Ruinen liegen Menschen." Humanitäre Korridore zur Evakuierung würden mit russischer Bewilligung garantiert, später aber beschossen. "Unaufhörliche russische Luftangriffe zielen auf Wohnhäuser, Schulen, Waisenhäuser, Kinderspitäler, geistliche Stätten, Gedenk- und Erinnerungsorte", so Fostyak.

Die Ukrainer könnten angesichts dessen aber nicht kapitulieren, betonte Fostyak: "Die Geschichte hat uns beigebracht, dass Menschen ohne Freiheit und eigenständige Staatlichkeit immer Leid erfahren werden". Das eigene Land zu verteidigen und zu bewahren sei daher "die höchste Pflicht - sowohl gegenüber den vergangenen Generationen, als auch gegenüber allen Kindern in Luftschutzbunkern und Flüchtlingszentren", so Fostyak, die am Institut für Historische Theologie der Universität Wien lehrt und forscht.

Einsatz für den Frieden

PRO ORIENTE habe den Angriff auf die Ukraine, einen unabhängigen Staat im Herzen Europas, als eklatante Verletzung der europäischen Friedensordnung früh verurteilt, erinnerte der Präsident der Stiftung, Alfons M. Kloss, in seinem Grußwort: "Wir fühlen uns als kirchliche Stiftung zutiefst dem christlichen Grundauftrag verpflichtet, uns für den Frieden einzusetzen." Die Stiftung werde sich angesichts der damit einhergehenden neuen Zerwürfnisse mit Nachdruck in ihren vielfältigen Dialog- und Begegnungsprojekten mit den orthodoxen und den orientalisch-orthodoxen Kirchen für Frieden und Versöhnung einsetzen.

Angesichts des Schreckens des Krieges sei auch in der Ökumene einiges in Bewegung geraten, so Kloss weiter: "Christen und Christinnen sind sich bewusst geworden, dass manche seit langem bestehende Trennlinien dann obsolet werden, wenn Gewalt und Zerstörung vorherrschen." Gemeinsam für das Evangelium einzustehen und danach zu handeln sei das Gebot der Stunde, so der PRO ORIENTE-Präsident. Und er fügte hinzu: "Gegen Krieg, Gewalt und Aggression; für den Frieden, für das Schicksal der zahllosen leidenden und fliehenden Menschen einzustehen – das ist der drängende und zentrale Auftrag an alle unsere Kirchen in dieser so bewegten Zeit."

Ukrainische Eigenstaatlichkeiten

Alexander Kraljic, Nationaldirektor für die katholische anderssprachige Seelsorge in Österreich, beleuchtete in seinem Vortrag die reiche Geschichte und Kultur der Ukraine, deren eigenständige Identität der russische Präsident Wladimir Putin zu Beginn des Krieges dem Land abgesprochen hatte.

Laut Kraljic sind die Ukraine und Russland in gleicher Weise Erben der alten Kiewer Rus. Auch nach deren Zerbrechen hätten die heute westlichen ukrainischen Gebiete nochmals eine staatliche Eigenständigkeit erlangen können, so Kraljic unter Verweis auf das Königreich Galizien-Wolhynien, bis sie schließlich im 14. Jahrhundert an das polnisch-litauische Reich angegliedert wurden. Dadurch hätten sie freilich auch Anschluss an den zentraleuropäischen Kulturraum gefunden. Unterdessen habe im 17. Jahrhundert in den Steppengebieten östlich des Dnjepr ein Kosakenstaat existiert, der seine Unabhängigkeit gegenüber Russland, dem Osmanischem Reich und Polen-Litauen behaupten konnte.

Erst im 18. Jahrhundert sei der Großteil der heutigen Ukraine dann Schritt für Schritt unter russische Herrschaft gekommen, während das alte Galizien österreichisch wurde. Auch die Unterstellung der orthodoxen Kirche unter die Jurisdiktion Moskaus gehe auf das späte 17. Jahrhundert zurück, so Kraljic.

Nach dem Ersten Weltkrieg habe es kurzzeitig einen westlich ausgerichteten Staat ("Ukrainische Volksrepublik", 1917-1920) gegeben, bis dieser 1922 endgültig von der Sowjetunion geschluckt wurde. Die Repressionen unter Stalin und insbesondere die von den Sowjets künstlich erzeugte Hungersnot in den 1930er-Jahren ("Holodomor") seien bis heute in den Köpfen der Menschen präsent, "und haben dazu beigetragen, dass die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit 1991 einen weitgehend konsequenten pro-europäischen Kurs verfolgte", so Kraljic.