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Experten: Versöhnung braucht Initiativen des Dialogs und der Begegnung

15. Dezember 2025

Neue PRO ORIENTE-Blog-Beiträge des Südosteuropa-Regionaldirektors des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, Stanko Perica, und der an der Universität von Sarajevo lehrenden Moraltheologin Zorica Maros über Hindernisse und konkrete Initiativen zur Heilung verletzter Erinnerungen.

Poi

Wien, 15.12.2025 (poi) Soll eine nachhaltige Heilung verwundeter Erinnerungen und Versöhnung in den Konfliktregionen Südosteuropas gelingen, braucht es verstärkte Dialoginitiativen und persönliche Begegnungen. Das ist der Tenor zweier neuer Beiträge im PRO ORIENTE-Blog "Healing of Wounded Memories". Unter dem Titel "From Memory to Mission" zeigt darin der Regionaldirektor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes für Südosteuropa, Stanko Perica, auf, wie man auf "Frustrationen über geringe Fortschritte" im ökumenischen und interreligiösen Dialog reagieren kann. Die an der Universität von Sarajevo lehrende Moraltheologin Zorica Maros berichtet in ihrem Beitrag unter dem Titel "How Can Academics Use Their Resources to Shape Reality?" über von ihr initiierte akademische Dialog- und Versöhnungsprojekte der vergangenen Jahre in der Region. 

Laut P. Perica gibt es drei Schwierigkeiten, die konstruktive Versöhnungsarbeit speziell aus religiöser bzw. kirchlicher Sicht erschweren: Zum einen die "Bewaffnung der Vergangenheit": So werde die Geschichte oftmals politisch zum Kampfplatz unterschiedlicher, einander widerstreitender Narrative missbraucht, etwa, indem Traumata der Vergangenheit erinnert und verstetigt statt geheilt werden. Hinzu komme die besondere geopolitische Situation in Südosteuropa, die sich auch im Aufeinandertreffen von westlicher Christenheit, östlicher Orthodoxie und Islam zeige. In diesem besonderen Klima werde "Diversität häufig als Bedrohung und interreligiöse Zusammenarbeit als Risiko" empfunden, so Perica. Zudem würden die Kirchen angesichts auch des demografischen Wandels und einer gesellschaftlichen Marginalisierung dazu neigen, sich auf Selbsterhalt und die Wahrung ihrer Interessen zu konzentrieren - und darüber "ihre prophetischen Stimmen verlieren", mahnte der Jesuit. 

Ein entscheidendes "Antidot gegen die historische Trennung" sei indes ein forcierter ökumenischer und interreligiöser Dialog. Dieser mag "anstrengend" sein, zugleich aber "unerlässlich zur Heilung verwundeter Erinnerungen", so Perica. Grundhaltungen eines solchen Dialogs seien Höflichkeit, Menschlichkeit und die Bereitschaft, sich vom je anderen herausfordern zu lassen. "Dialog sollte daher eine zentrale christliche Praxis sein", forderte der Jesuit - und er beginne nicht mit formalen Erklärungen, sondern in einer dialogischen Alltagspraxis. Weiters sollten sich die christlichen Gemeinschaften ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden und einander in Solidarität begegnen bzw. gemeinsam Solidarität mit den Bedürftigen in der Gesellschaft üben. Schließlich sei eine gemeinsame solidarische Praxis die beste Grundlage für ein ökumenisches und interreligiöses Lernen. 

Prof. Zorica Maros berichtet in ihrem Beitrag über ein von ihr an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität von Sarajevo entwickeltes dreijähriges Dialog- und Begegnungsprogramm. Selbst 30 Jahre nach dem Krieg in Bosnien und Herzegowina würde weiterhin eine "Ideologie" vorherrschen, die damals zum Krieg geführt habe, mahnte Maros, die in zahlreichen Friedensinitiativen und -Projekten aktiv ist. Der Krieg habe eine tiefe ethnische Spaltung erzeugt, alte Vorurteile verstärkt, neue geschaffen und bis heute dazu geführt, dass sich Menschen mit Misstrauen und Vorurteilen begegnen. 

Dagegen habe sie in den Jahren 2014 bis 2017 das Projekt "From War to Reconciliation: The Contribution of Religious Communities to the Restoration and Healing of Society" initiiert. Im Rahmen des Projekts seien Referentinnen und Referenten verschiedener akademischer Disziplinen, aber eben auch verschiedener religiöser Herkunft eingeladen worden, um gemeinsam über Vergebung nachzudenken. U.a. seien dabei drei frühere Lagerhäftlinge - ein Bosnier, ein Serbe und ein Kroate - eingeladen worden, um über Vergebung und das Eingedenken des Leids des jeweils anderen zu reflektieren – ein Leuchtturmprojekt seit dem Krieg im akademischen Kontext, so Maros: "Es hat 20 Jahre gedauert, dass wir begonnen haben, zusammenzuarbeiten, uns mit dem zu konfrontieren, was geschehen ist, und was es braucht, um eine Katharsis in unseren Gesellschaften und Gemeinschaften herbeizuführen." 

Leider habe das Projekt im akademischen Kontext und über die unmittelbar Beteiligten hinaus ein geringes Echo gefunden. Die Rückmeldungen unter den Beteiligten hätten indes ergeben, dass es das erste Mal gewesen sei, dass sie sich mit Menschen anderer religiöser oder anderer ethnischer Herkunft ausgetauscht hätten. Insofern sei das Projekt aus Sicht der individuellen Begegnungen und Veränderungen, die durch es ermöglicht wurden, ein Erfolg gewesen, rekapituliert Maros. 

Perica und Maros waren Vortragende bei der jüngsten PRO ORIENTE-Konferenz "Healing Wounded Memories: The Responsibility of Churches to Heal", die vom 13. bis 16. November in Wien stattfand. Für die Konferenz waren 70 Teilnehmende aus 25 Ländern nach Wien gekommen, darunter Geistliche und Laien sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und Arbeitsfeldern. 

Ein Kurzfilm mit Impressionen der Konferenz ist auf dem YouTube-Kanal von PRO ORIENTE abrufbar: https://youtu.be/plQjX-wsU_o

BLOG-Beitrag von Zorica Maros unter dem Titel "How Can Academics Use Their Resources to Shape Reality?": https://www.pro-oriente.at/blog/how-can-academics-use-their-resources-to-shape-reality

BLOG-Beitrag von Stanko Perica unter dem Titel "From Memory to Mission": https://www.pro-oriente.at/blog/from-memory-to-mission